PARADIES : ROT

 

 

 

Ausstellung „PARADIES: ROT“  - Fotografien von Eva Mahn

Text zur Eröffnung am 20.08.2021

 

Die Ausstellung „PARADIES: ROT“ zeigt Fotografien, die Eva Mahn zum Abschluss eines Tantra - Kurses für Frauen gemacht hat.

Dabei wurden die Teilnehmerinnen eingeladen, sich für die Fotosession „schön und erotisch an- oder auch auszuziehen”.

 

Tantra ist eine Strömung innerhalb der indischen Philosophie, in der die Verehrung der weiblichen Gottheit eine wichtige Rolle spielt. Tantra verbindet Sinnlichkeit mit Spiritualität.

Seit Beginn des 20.Jh wird in der westlichen Welt ein Neo-Tantra praktiziert, verkürzt auf sexuelle Aspekte mit dem Ziel einer Steigerung der Fähigkeit des sinnlichen Erlebens und zum Erreichen eines sexuellen und spirituellen Wohlbefindens.

Im Internet stößt man auf eine große Zahl solcher Kursangebote, was für einen Bedarf nach Entfaltung und Selbstoptimierung auf diesem Gebiet spricht.

 

Eva Mahn greift mit ihrer Arbeit ein Thema auf, das sie selber und auch viele Frauen beschäftigt: das Älterwerden, die Veränderung des Körpers, über dessen Aussehen und Schönheit Frauen oft definiert werden.

 

Und wie in vielen ihrer Arbeiten ist auch „PARADIES: ROT“ eine Selbstbefragung der Künstlerin und eine Befragung der abgebildeten Personen. Wer bin ich? Was mache ich? Wie sehe ich mich? Wie will ich gesehen werden? Wie fühle ich mich gerade? Ein vergleichbarer Ansatz findet sich in vielen ihrer früheren Arbeiten: bei Porträts von Jugendlichen im „Aufbruch in die Freiheit“, in „Nichts ist mehr wie es wahr“ und in ihren Porträts von Bewohnern von Ahrenshoop „Grenzgänger“ 

 

Eva Mahn ist Kunstwissenschaftlerin. Sie hat über „Deutsche Glasmalerei in der Romantik“ promoviert. Über viele Jahre war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, speziell im Bereich Grundlagen der Fotographie. Seit 2010 ist sie freiberuflich als Fotografin tätig.

 

Sie kennt die Fotografie nicht nur als Fotografin, sondern auch aus der anderen Perspektive u.a. als Modell für den bekannten DDR-Mode- und Aktfotografen Günter Rössler.

 

Eva Mahns Fotoarbeiten zeichnen sich durch eine überlegte und geplante Inszenierung aus. Objekte, Modelle, Umgebung, Licht – alles wird mit Bedacht gestaltet und gezielt arrangiert. Als Kunstwissenschaftlerin sind ihr viele Werke der bildenden Kunst präsent, eine Kenntnis, die in ihre Arbeit hineinspielt. Bis 1998 fotografierte sie nur schwarz-weiß, seitdem auch in Farbe.

 

Bei den Arbeiten für „PARADIES: ROT“ musste sie situations-bedingt von ihrem inszenierenden Vorgehen abweichen. Die Teilnehmerinnen konnten sich aus einem Fundus von Stoffen und Kleidern bedienen und haben sich gegenseitig in ihrer Auswahl angeregt und ermutigt. Das Wählen der Kleidung und Accessoires, das Ausprobieren verschiedener Posen und die damit verbundene Dynamik machte eine gezielte Inszenierung unmöglich. Einige der mit Blitzlicht aufgenommenen Aufnah-men und Aufnahmeserien haben etwas Schnappschussartiges an sich. Der sinnlichen Thematik entsprechend hat sich die Fotografin für farbige Aufnahmen entschieden und teils malerisch anmutende Farbkompositionen geschaffen. Wir sehen üppige Weiblichkeit und kühle Erotik. Leopardenfell, Fuchsstola und der schwarze Kater schaffen eine Nähe zum bedrohlich Animalischen.

 

Den Bildern sieht man die Begeisterung, das Spielerische, die Freude der abgebildeten Frauen am sich Präsentieren in der von ihnen gewählten Kleidung und Pose an. Wichtig war dabei das Vertrauensverhältnis zur Fotografin und die Geschütztheit der Situation, die auch mit der Abwesenheit von Männern zu tun hatte. 

 

Die Frauen blicken aus dem Bild den Betrachter/die Betracht-erin direkt an. Wie geht es uns damit? Was lösen sie bei uns aus? Neugierde? Ver- oder Bewunderung über ihre Offenheit, ihre Posen? Vermutlich gibt es da einen Unterschied in der Wahrnehmung zwischen männlichen und weiblichen Betrach-tern.

 

Warum der Titel „PARADIES: ROT“? Paradies wird assoziiert mit himmlischem Zustand, aber auch mit der Vertreibung daraus. Rot ist die Farbe der Gefühle, der Liebe, aber auch des Blutes. Das Spannungsverhältnis dieser beiden Pole kommt in ihren Bildern zum Ausdruck: da ist einerseits Lebensfreude, die Akzeptanz des eigenen Körpers und Sinnlichkeit – gleichzeitig droht die Vertreibung aus dem Paradies: die Veränderung und Alterung des Körpers, der Prozess der Vergänglichkeit. 

 

Eva Mahn stellt ihren Frauenbildern Aufnahmen der Natur zur Seite: die weite Landschaft Argentiniens, den wilden Wasserfall,  Früchte, die männliches und weibliches Geschlechtsorgan darzustellen scheinen. Die Natur ist (hoffentlich) ewig, sie verändert sich zwar, die Blumen welken – aber sie erneuert sich immer wieder – im Unterschied zu uns sterblichen Menschen. Deswegen gilt: memonto mori: bedenke den Tod – der hier in der Ausstellung als geschmücktes Skelett aus den Katakomben neben der entspannt liegenden jungen Frau plaziert ist, beide auf der rechten Seite liegend, den Kopf bzw. Schädel in Richtung auf den Betrachter, die Betrachterin gerichtet. 

 

Aber vor dem Tod ist das Leben. Deswegen lautet die andere Botschaft der Bilder: carpe diem: genieße den Tag, die Gegenwart – auch, ja gerade angesichts des Wissens um die Vergänglichkeit.

 

Die Bilder vermitteln Lebensfreude, eine Zufriedenheit mit dem eigenen Körper, ein Selbstbewusstsein, eine Unabhängigkeit oder Freiheit vom konventionellen Schönheitsideal. 

 

Sie sind Momentaufnahmen, vielleicht entstanden aus der  gemeinsamen, positiv stimmenden Kurserfahrung. In den Fotografien von Eva Mahn sind sie auf Dauer festgehalten – und können damit immer wieder angeschaut und vergegenwärtigt werden.

Eine Freude, vielleicht auch ein Trost, eine Erinnerung für die Zeit, wenn sich die Zeichen der Vergänglichkeit deutlicher bemerkbar machen. 

 

Norbert Hümbs

 

 

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