Zeichen an der Wand
Angeregt durch Gedicht „Belsazar von Heinrich Heine
Das Gedicht handelt vom Babylonierkönig Belsazar, der Gott verhöhnt und aus einem heiligen Becher trinkt, den sein Vater bei der Eroberung Jerusalems aus dem Tempel gestohlen hat. Doch kaum hat er sich gebrüstet, passiert etwas Unerwartetes.
Und sieh! und sieh! an weißer Wand
Da kam's hervor wie Menschenhand;
Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und
schwand.
Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
Den Soldaten wird angesichts der Schrift mulmig. Sie sehen darin ein Zeichen Gottes, der sich diesen Hochmut nicht gefallen lässt, und bringen Belsazar vorsichtshalber um.
Die Geschichte, auf die Heines Ballade zurückgreift, findet sich im 5. Kapitel, Vers 1-25 des Buches Daniel im Alten Testament. Dort heißt es, dass der in Babylon hoch angesehene jüdische Prophet Daniel gerufen worden sei. Er soll die Worte „Mene mene Tekel Pharsin" an der Wand deuten.
Sind künstlerische Arbeiten seismographisch, weist Kunst ahnungsvoll auf Menetekel hin?
Verfügen Künstler*innen über eine besondere Sensibilität für die Wahrnehmung von Veränderungen, Krisen und Unheil?
In dem von Heinrich Heine im Gedicht beschworenen Bild von der beschrieben Wand wird das Ahnungsvolle, Vieldeutige, Rätselhafte der Zeichen angesprochen.
Zeichen sind Formen vor- und nebenschriftlicher Kommunikation. Sie enthalten vage Hinweise, unbestimmte Andeutungen, vielleicht Geheimzeichen. Die Anfänge kann man in Höhlen- und Felszeichnungen finden.
Die ausgestellten Arbeiten schlagen einen Bogen von gestischer Zeichenhaftigkeit zu bildhaften Zeichen, Zeichen als Notation bzw. die Notation als visuelles Kunstwerk.
Am Anfang der Bildzeichensprache standen Rhythmus und die Wiederholung von einfachen Rastern, Punkten, Strichen, was eine Entsprechung in der digitalisierten Computersprache findet.
Die Arbeiten von Leonie Hennicke greifen solche einfachen rhythmischen Strukturen auf.
Leonie Hennicke ist Studentin an der UdK Berlin in der Klasse der Bildhauerin Ina Weber.
Von Mi Ran Kim sehen wir zur Phantasie anregende Bilderzeichnungen. Ihr gelingt es, kunstvoll etwas von der ursprünglichen Bildhaftigkeit der Kommunikation zum Ausdruck bringen, wobei man an kindliches oder spontanes Gekritzel denken könnte. Dabei verwendet sie Buchstaben des koreanischen Alphabets.
Mi Ran Kim stammt aus Süd-Korea. Sie hat an der Kunsthochschule in Kassel studiert.
Auch die zarten Zeichnungen von Ellen Keusen haben einen bildhaft erzählenden Charakter. Sie verraten durch ihren Titel „Der Raum zwischen den Dingen“ etwas von den Assoziationen, die die Künstlerin bei ihrer Arbeit angeregt haben.
Im Schaufester hängt die Arbeit von ihr mit der strikten und lapidaren Feststellung „Zu spät“. Eine skulpturale Arbeit mit dem Titel „Nachricht“: ein toter Ast, im 3D-Drucker nach einer Zeichnung gefertigt, lässt ein Untergangsszenarium, ein Sterben phantasieren, ein Untergang in Schönheit.
Ellen Keusen hat an der Werkkunstschule in Düsseldorf und an der HdK Berlin studiert. Arbeiten von ihr befinden sich u.a. im Museum Ludwig und im Kolumba-Museum in Köln.
Kirstin Rabes Arbeiten gehören zu einer Werkgruppe, die sie „Dichte der Gedanken“ genannt hat. Hier wird nicht der Inhalt der Gedanken verbildlicht, sondern das Denken, die mal größere, mal geringere Dichte wird in der Intensität der Tuschespuren zum Ausdruck gebracht - und auch die manchmal bestehende Leere und Verworrenheit der Gedanken.
Kirstin Rabe hat erst Ingenieurwesen und dann freie Kunst studiert. 2023 hat sie den Brandenburgischen Kunstpreis in der Kategorie Graphik erhalten.
Eine große Arbeit mit dem Titel Synapsen stammt von Josias Scharf.
Seine in mehreren Ebenen mit Acylstift aufgetragenen Zeichen tragen den Titel Love-letters.
Josias Scharf ist in Brasilien geboren und hat dort Kunst studiert. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet er in Berlin.
Christine Düwel greift in ihren Arbeiten die musikalische Notation auf, für viele Menschen eine Geheimschrift, vor allem die Notationen der Avantgarde- Komponisten. In ihren Arbeiten korrespondiert die Notenschrift mit einem kompositorischen Farbklang. Eine Papierrolle, die neben den Komponisten Luigi Nono und Kazou Fukoshima einen Philosophen würdigt, der beim Thema Sprache nicht fehlen darf: Ludwig Wittgenstein, der bedeutendste Vertreter der analytischen Sprachphilosophie.
Christine Düwel hat Bildhauerei sowie Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Sie ist als Kuratorin und in der internationalen Gesellschaft der bildenden Künste tätig. Sie beschäftigt sich – wie auch hier zu sehen ist – mit der Beziehung verschiedener Zeichensysteme zueinander.
Mit den Arbeiten von Ulrich Werner hat es eine besondere Bewandtnis. Sie sind 2024 entstanden, fußen aber auf Fotografien, die der Künstler 1972 bei einer Reise in den Irak aufgenommen hat und in der er den Orten des Belsazar Gedichtes, Babylon und Ur, ganz nahegekommen ist. Eine große Zeichnung mit Ölsticks gibt angedeutet einige arabische Schriftzeichen wider. Zwei kleineren Arbeiten sind mit Ölstick und Wachs auf chinesischem Papier gestaltet. Sie tragen den Titel „Graffiti“
Ulrich Werner hat Slawistik und Politik studiert und ist seit 1987 künstlerisch tätig. Er hat sein Atelier in den Gerichtshöfen im Wedding.
Gisela Schattenburg
Die Arbeiten von Gisela Schattenburg haben die Bezeichnung „Begegnung“ und sind unter dem Eindruck der Corona-Pandemie entstanden. Sie sind gestische Zeichnungen aus der Hand, Ausdruck einer direkten Verbindung zwischen Hirn/Affekt und der Hand als ausführendem Werkzeug, ein Stimmungsbild. Wie weit wird die Hand geführt oder macht sie sich selbständig?
Gisela Schattenburg hat an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig studiert. Seit 1992 ist sie als freischaffende Künstlerin in Berlin tätig. Kürzlich hat sie an einem ganz besonderen Gruppenprojekt „non plus ultra“ – zwischen Vergangenheit und Zukunft im Kunstraum Waschhaus Potsdam teilgenommen.
Susanne Tischewski hat in Leipzig an der Hochschule für Graphik und Buchkunst studiert. Ihr bevorzugtes Material ist Papier. Die meditativ wirkende Arbeit „Mutter und Kind“ aus dem Jahr 1985, mit Fahrradlack und Wachs auf Seidenpapier, und eine kleine Gouache mit dem Titel „Inschrift“ aus dem Jahr 2024 passen besonders gut zum Thema. Handelt es sich hier um eine Geheimschrift? Überhaupt um Schrift? Oder sind die Buchstaben nur malerische Elemente?