Auszug aus der Begrüßung bei der Eröffnung der Ausstellung 10 Jahre diekleinegalerie – 10 Künstler*innen
Zunächst ein paar Worte zur Geschichte der Galerie
Die erste Ausstellung hier fand im Oktober 2015 statt mit Arbeiten von Gerd Wulff, einem Künstler aus unserem Bekanntenkreis, der zwei Jahre zuvor verstorben war.
Für Kunst habe ich mich schon lange interessiert. Ich finde Kunst bereichernd. Zu Hause hängt oder steht Kunst, ohne die würde es sich leer anfühlen.
Als ich meine Praxis aufgegeben habe, hatte ich Lust, noch mal etwas ganz anderes zu machen, eine Art neue Herausforderung. Ich hatte die Räume zur Verfügung und wollte es ausprobieren mit der Galerie.
Im Laufe der 10 Jahre gab es aufs und abs, gelungene und weniger gelungene Ausstellungen, Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Ganzen, wenn ich meine Zeit ohne Besucher in der Galerie verbrachte, wirtschaftliche Bedenken.
Dagegen stand immer: die interessanten und anregenden Begegnungen mit Künstlerinnen und Künstlern, die Herausforderung, sich mit manchmal schwer zugänglichen Arbeiten zu beschäftigen. Kunst muss rätselhaft sein, sagt Adorno, sonst ist es keine Kunst. Dann die Situation, bei der Gestaltung einer Ausstellung vor einer großen Auswahl an Arbeiten zu stehen. Was soll ich auswählen? Unsicherheit über meine subjektiven Auswahlkriterien. Der Umgang damit, dass andere es ganz anders sehen. Was, das soll Kunst sein? Die Freude, wenn jemand etwas von mir Ausgewähltes gekauft hat, d.h. meine Auswahl, meine Begeisterung oder mein Berührt-sein von einer Arbeit teilt.
Und es gab viele Begegnungen mit Besucherinnen und Besuchern, die an Arbeiten etwas entdecken, was ich selber nicht wahrgenommen habe.
Schon bald habe ich begonnen, Ausstellungen mit Veranstaltungen zu verbinden als Versuch, die künstlerischen Arbeiten durch ein anderes Medium wie Musik, Gedicht, Gespräch zu ergänzen. Laut Beuys kann man künstlerische Arbeiten nicht erklären, sondern nur in einer anderen Form künstlerisch darauf reagieren.
So hat sich die Galerie auch zu einem Ort der Begegnung und des Austausches in der Nachbarschaft entwickelt.
Wie komme ich an die Künstlerinnen und Künstler, die hier ausstellen.
Natürlich auf ganz unterschiedlichen Wegen.
Linda Scheckel habe ich über einen alten Gedok Katalog gefunden, den ich bei Oxfam gekauft hatte. Mir gefielen ihre Arbeiten, ich stellte fest, dass sie in Berlin lebt und habe sie angeschrieben. Sie hat inzwischen mehrfach hier ausgestellt. In meinen Augen ist sie eine sehr eigenständige, über viele Jahre kontinuierlich ihren Weg gehende Künstlerin, was man den hier ausgestellten und aus verschiedenen Zeiten stammenden Arbeiten ansehen kann.
Der Kontakt zu Susanne Tischewski ist über ihre Tochter entstanden, die mich über meine psychiatrische Arbeit mit Obdachlosen interviewt hatte. Daraus hat sich eine lange Zusammenarbeit entwickelt. Susanne Tischewski arbeitet vorwiegend mit bearbeitetem Papier, das sie faltet, zerreißt, vernäht. Sie hat auch viele textbasierte Arbeiten geschaffen, von der hier eine zu sehen ist. Sie gestaltet die Plakate und Einladungskarten – und hat mich mehrfach, so wie auch jetzt bei der jetzigen Ausstellung bei der Hängung unterstützt.
Irene Warnke ist eine Brücke zu meiner früheren Tätigkeit. Ich habe sie vermutlich 1975 oder 1976 als junger Arzt bei einer Recherche über Berliner Drogeneinrichtungen als Mitbegründerin der Synanon Drogenselbsthilfeeinrichtung kennengelernt. Mehr als 40 Jahre später
sind wir uns wiederbegegnet, sie als Künstlerin und ich als Galerist. Von hier sind diesmal eher zarte Zeichnungen zu sehen. Es gibt von ihr auch klein- und großformatige Malerei und eine graphic novel als Buch über ihr Leben.
Zu Andrea Cataudella ist der Kontakt über Ausstellungen im VBK entstanden. Er hat sein Atelier ganz in der Nähe. Ich schätze seine Arbeiten, eine hängt auch in unserer Wohnung. Sein Vater war ein – wohl etwas schwieriger - Psychiater, vielleicht prägt das seine Arbeit. Es gibt eine große Zahl von Porträts, in denen er die gebrochenen und widersprüchlichen Seiten des Menschen – vor allem die Fragilität erfasst. Hier sehen wir zwei typische Arbeiten von ihm: Porträt eines Jungen, der wie ich aussah und Hommage an Francois Villon, mit dem er wohl sein Interesse für existentielle Themen wie Liebe, Enttäuschung und Tod teilt.
Ute Hoffritz habe ich anlässlich einer Ausstellung kennen- und schätzen gelernt. 2023 hat sie hier zusammen mit ihrem Mann, dem Fotographen Woitek Skowron ausgestellt. Von ihr stammen die beiden organisch anmutenden großen Terrakotta Arbeiten „letztes Hemd“ und „Bellezza naturale“ = natürliche Schönheit, ein passender Titel und die mir auch sehr gut gefallende kleine Bronze-Arbeit „Kleine Welt“.
Jens Hunger hat sich hier vor einigen Jahren vorgestellt. Er beeindruckt mich durch seinen Einsatz und seine Produktivität. In seinen Arbeiten erzählt er Geschichten oder stellt eine Szenerie dar, die zum Ausphantasieren einlädt. Dabei haben seine Arbeiten alle etwas Hintergründiges, Subversives, das die vorgeblichen Harmonien in Frage stellt. Die Menschen und vor allem die Tiere in seinen Arbeiten haben etwas Possierliches an sich. Große Themen kommen bei ihm ganz arglos daher: „Streitet euch nicht! Es ist genug für alle da.“
Diese 6 Künstlerinnen haben in der Vergangenheit hier in Einzel- oder Gruppenausstellungen schon Arbeiten gezeigt.
Vier Künstler*innen sind in der Ausstellung hier erstmals vertreten. Auf sie bin ich beim Semesterrundgang der UdK in diesem Jahr gestoßen.
Zunächst zu Anit Nurzaie. Arbeiten von ihr hingen in der UdK gleich im Erdgeschoss bei den Meisterschüler*innen-Absolventen. Anit Nurzaie stammt aus Afghanistan und hat gerade ihr Studium an der UdK beendet. Von ihr stammen die beiden großen Arbeiten mit dem Titel „Farbbruch“ und „verbogene Bahn“ und die kleine farbige löchrige Keramik. Beim Betrachten der Arbeiten wusste ich natürlich noch nichts über die Künstlerin. Dass sie aus Afghanistan stammt, habe ich erst später herausgefunden.
Zu Afghanistan habe ich eine besondere Beziehung, da ich einmal dort gewesen bin.
Beim Betrachten ihrer Malerei und der Keramik frage ich mich, wieviel ihrer kulturellen Herkunft und ihres Weges nach Deutschland darin enthalten sein könnte.
Beim UdK-Rundgang binich in der Klasse von Valerie Favre hängengeblieben. Dort fiel mir zunächst das Pferd von Philipp Schwinning ins Auge, das mich an den Hund von Goya erinnert hat, von dem nur der Kopf zu sehen ist, der über eine undefinierbare Kante hervorschaut. Vom Pferd ist fast nur der Kopf ausgestaltet. Bei der langestreckten Figur darunter könnte es sich auch um einen Menschen handeln, der einen Pferdekopf trägt.
Von ihm stammen auch die großen Arbeiten, „Anatomie“ betitelt und „monk of the seas“. Anatomie kann auch als Aufbau verstanden werden, das Übereinanderlegen verschiedener Farbschichten im Arbeitsprozess.
Er wird sein Studium an der UdK im nächsten Jahr abschließen.
Dann fiel mein Blick auf die beiden roten Köpfe von Jakob Emilio Koch-Perez. Von ihm sind hier noch zwei weitere Arbeiten zu sehen.
Die roten Köpfe tragen den Titel „Die Betrogenen“ und sind im Rahmen eines Projektes zu Hütchenspielern entstanden.
In den beiden anderen Arbeiten geht es um Pferde, einmal aufgereiht auf einem Jahrmarkt-Karussell auf groben nebeneinander angeordneten Holzstücken. Auf dem darunter stehenden Objekt sind die Pferde fast im Rundflug, in aufgelöster Bewegung – wie durchgedreht.
Und schließlich Max Groeger, den ich in der UdK kennengelernt habe. Von ihm sehen wir komplexe „Krickelkrakel“-Zeichnungen. Er studiert neben Kunst auch Philosophie und hat während der Vorlesungen die großen Gestalten der Philosophie gezeichnet. Hier sehen wir zwei Zeichnungen, die eher clownhaft wirken, die er während einer Vorlesung über den französischen Philosophen Henri Bergson angefertigt hat. Von Bergson stammt das Essai „Das Lachen. Ein Essai über die Bedeutung des Komischen“.
Bei der Auswahl der Arbeiten habe ich einerseits ein Gefühl, aus dem Vollen schöpfen zu können und gleichzeitig die Qual der Wahl. Man könnte immer auch andere Arbeiten auswählen. Die Qualitätsmaßstäbe in der Kunst sind ein Mysterium.