„Leben und Weben“
mit Mirja Gastaldi und Florence Obrecht
vom 24.Januar.2025 bis zum 28. Februar 2025
Einführung in die Ausstellung „Leben und Weben“
Zum Titel der Ausstellung haben sich die Künstlerinnen durch einen Dokumentarfilm des DEFA-Studios von Volker Koepp aus dem Jahr 1981 anregen lassen.
Dabei handelt es um eine Reportage aus einem Obertrikotagenbetrieb in Wittstock/Dosse.
Das Filmteam hatte das Werk schon 2 Jahre zuvor besucht und sprach erneut mit einigen der dort tätigen Frauen über ihr Leben, ihre Pläne und ihre Arbeit. Außerdem dokumentierten sie einen Ausschnitt aus ihrem Privatleben, ihrer Freizeit.
Wir zeigen einen kleinen Film, der einen Eindruck vom Leben der Weberinnen abseits der Arbeit vermittelt.
Das Weben gehört nach der Holz- und Steinbearbeitung zu den ältesten Handwerken der Menschheit und ist seit 32000 Jahren nachgewiesen, länger als die Töpferei.
Die Kunst des Webens entstand in der Jungsteinzeit, als die Menschen begannen, Pflanzenfasern zu nutzen, um Kleidung, Behausungen und andere nützliche Gegenstände herzustellen.
In vielen Kulturen war das Weben nicht nur eine praktische Notwendigkeit, sondern auch eine Kunstform. In der griechischen Mythologie zum Beispiel war die Göttin Athene die Schutzpatronin der Weberinnen.
Das Begriffspaar „Leben und Weben“ lässt an das Begriffspaar „ora et labora“ des Benediktiner-Ordens denken. Übersetzt man „ora“ in „Leben“ und „Weben“ in „Arbeiten“, dann gewinnt man das Begriffspaar Leben und Arbeiten. Darum geht es im Film – und auch generell: um ein angemessenes Verhältnis von Leben und Arbeiten, neudeutsch work-life balance.
Zur Ausstellung:
Mirja Gastaldi hat an der Udk in der Klasse von Wolfgang Petrick studiert. Sie hat als freie Künstlerin zunächst in Südfrankreich gelebt, seit 2018 lebt sie wieder in Berlin.
Florence Obrecht ist in Metz geboren. Sie hat 2001 ein Kunststudium in Paris an der Ecole Nationale des Beaux-Arts abgeschlossen. Als Stipendiatin war sie an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin und am Hunter Collage in New York.
Beide Künstlerinnen haben in vielen Städten ausgestellt, besonders in Frankreich. Florence Obrecht hat aktuell eine Ausstellung in Cannes. Ab März wird sie mit Arbeiten im Haus am Lützowplatz in einer Ausstellung mit dem Titel Berliner Realistinnen vertreten sein.
Florence Obrecht und Mirja Gastaldi arbeiten mit Textilien, Stickerei, Malerei und Zeichnung.
Ihnen gemeinsam ist das Interesse an der Darstellung der menschlichen Figur, insbesondere der Frau und eine Neigung, die Medien Malerei und Textil zu verbinden: Nähen, Stickerei, Anfertigung von Kleidungsstücken, Präsenz von Kostümen in den Themen ihrer Malerei.
Mirja Gastaldi verbindet ihre Zeichnungen mit textilen und anderen Objekten. In ihre vorwiegend figürlichen Zeichnungen integriert sie abstrakte und zuweilen auch surreale Elemente. Wie hier zu sehen ist experimentiert sie mit verschiedenen Materialen wie Latex, Kunstleder oder Spitzenstoff, auf die sie Stickereien aber auch Sprühfarbe aufbringt. Ihre Arbeiten bekommen dadurch einen visuellen und auch haptisch-taktilen Charakter. Sie sind grenzüberschreitend: keine reine Malerei, kein rein textiles Werk. Man kann in ihren Arbeiten kleine Geschichten erkennen oder mutmaßen, denn sie sind offen für verschiedene Interpretationen. Viele ihre Arbeiten haben einen traumhaften Charakter. Eine Besucherin assoziierte die Musik von Pink Floyd, die einen mystischen, übersinnlichen Charakter hat. Auch in unseren Träumen tauchen Figuren, Bilder auf, die die Ordnung von Zeit und Raum ignorieren, Vergangenheit und Gegenwärtiges können nebeneinanderstehen. Wir sehen etwas, was eigentlich gar nicht sein kann. Mirja Gastaldi löst einzelne Elemente aus ihrem üblichen Zusammenhang und schafft in ihrer Komposition neue Bezüge. Ich verweise ich z.B. auf die große Arbeit Deep waters oder die Healing Monsters, in denen sich Bilder oder Figuren, vielleicht als Erinnerungsschnipsel aus der Vergangenheit zeigen. Gesichter, Figuren, Tiere, Symbole tauchen auf, werden angedeutet, blitzen aus der Erinnerung, aus dem Unbewussten auf.
Auch das Limbo Girl geht von einer figürlichen Darstellung aus, die sich aus der realen Situation löst. Es geht nicht allein um die Darstellung der tänzerischen Unterquerung einer Stange oder hier einer Schnur, welche die Tänzerin mit den Händen hält, was ja faktisch nicht möglich ist. Daneben besteht eine Transformation, eine Bewegung nach rechts oben - in eine andere Ebene/ Niveau?
Von Mirja Gastaldi ist auch die Cowgirls Skin, die auf einem Kleiderbügel im Schaufenster hängt, Malerei auf der Haut als auf Dauer gezeichnet- sein.
Eine etwas ältere Arbeit ist das Roller Girl aus Kohle auf Karton aus dem Jahr 2020, bei der die dunkle Färbung der linken Gesichtsregion (nach einem Sturz?) und der Gesichtsausdruck mit dem leicht geöffneten Mund zu verschiedenen Assoziationen anregen.
Schließlich möchte ich noch auf die Objekte: den Latex Helm, die Glucke und das Traumkissen hinweisen, die malerisch bearbeitet sind. Das Kissen „Dream Pillow“ lädt zum Träumen ein und verbildlicht zugleich Träume.
Schließlich noch die 6 Spa-Arbeiten, zarte, vieldeutige Impressionen auf Kunstleder, auch hier wieder ein Nebeneinander gegenständlicher, abstrakter, surrealer und textiler Elemente.
Die Künstlerinnen haben für die Ausstellung mehrere Gemeinschaftsarbeiten erstellt, die im Dialogverfahren entstanden sind. Erst hat die eine etwas aufgetragen, dann weitergegeben und es erfolgte eine Reaktion darauf. Die Arbeit „Leben und Weben“ haben wir für das Plakat und die Einladungskarten genommen.
Die hier ausgestellten Werke von Florence Obrecht zeigen einen Ausschnitt aus der Vielfältigkeit ihrer Arbeiten.
Ins Auge fällt das große Banner mit der Botschaft „Die Liebe ist stärker als der Tod“.
Der Titel ist eine Paraphrase eines Bibelzitats aus dem Alten Testament, das oft in Trauerreden eingesetzt wird.
Und er ist auch ein Zitat aus dem Buch „Erste Liebe und andere Erzählungen“ von Iwan Sergejewitsch Turgenjew (1818 - 1883), russischer Erzähler und Dramatiker.
Da heißt es „Die Liebe ist stärker als der Tod und die Schrecken des Todes. Allein die Liebe erhält und bewegt unser Leben.“
Wir sehen ein graues Banner, auf das ein kreisförmiges aus Patchwork-Stoffen und Stickerei gefertigtes textiles Element aufgebracht wurde. Die Arbeit imponiert durch eine große Farbigkeit und Lebendigkeit. Im unteren Bereich ist eine kleine Gouache angebracht mit der Abbildung eines Kindes, einer Frau, die einen Ast in der Hand hält, der zu einer Blüte auf dem Stoff verweist. Die Figur trägt wie auch die Gouache-Porträts eine besondere, hier besonders aufwändige Kleidung.
Nach meiner Wahrnehmung hat die Arbeit wenig mit dem Tod, sondern eher mit der Liebe der Künstlerin zu einem vielgestaltigen, farbigen Leben zu tun.
Davor steht ein Objekt „Schwanensee“ eine Porzellanfigur, die sie mit Zement und verschiedenen Objekten weiterentwickelt, überformt hat. Florence Obrecht verfügt über die Fähigkeit, jedes Alltagsobjekt oder auch weggeworfene, als wertlos erachtete Dinge in ein Kunstobjekt zu transformieren. Hier hat sie die Figur mit Muscheln umgeben und zwei Objekte aufgesetzt, wovon eines Jesus mit geöffnetem Brustkorb zeigt, der sein Herz darbietet.
Ein anderes Objekt ist eine Memory Jug, ein vasenartiges Gefäß, das mit Alltagsgegenständen verziert ist. Die Arbeit ist von der afro-amerikanischen Folk Art inspiriert, es kann ein „vergiss mich nicht“ = ein Erinnerungsgegenstand sein, oft geschmückt mit Alltagsgegenständen des Verstorbenen. Hier hat die Künstlerin ihre eigenen Erinnerungen, an eine der sie prägenden Künstler und Künstlerin, nämlich Käthe Kollwitz eingebracht, deren Porträt vorne zu sehen ist. Garniert hat sie es mit Spielzeugteilen eines Seeschlacht-Spiels: Schiffe versenken. Mit Elementen dieses Kinder-Kriegsspiels hat sie auf den oberen Rand den Apell „Nie wieder Krieg“ geschrieben, den das berühmte Plakat von Käthe Kollwitz aus dem Jahr 1924 trägt.
Neben der großen Wandarbeit und den Objekten zeigt Florence eine Anzahl von Porträts, hier zunächst alle in der Größe 30 x 24 cm in Öl auf Holz, realistische Porträts ihrer Familienmitglieder. Nur sie selber ist durch die Schminke im Gesicht verfremdet. Ihr Mann und zwei ihrer Kinder schauen gleichmütig den Betrachter an, während bei ihr eine gewisse Diskrepanz zwischen der Schminke und dem ernsten Gesichtsausdruck auffällt.
Daneben finden sich 5 weiter Porträts, wobei die drei als Gouachen gefertigten Porträts weniger streng realistisch wirken. Auch in den Porträts spielen Stoffe und Kleidung eine besondere Rolle.
Vorn am Eingang hängt das Bild „Melancholia“, ebenfalls in Öl auf Leinwand, auf dem sich Florence Obrecht 2023 als Selbstbildnis in einem Clownskostüm darstellt mit einem Telefon auf dem Schoß. Es gibt eine ganze Reihe von Selbstbildnissen aus verschiedenen Jahren. Sich selber hat die Künstlerin als Objekt ja immer zur Verfügung. Aber die Selbstbildnisse können auch – wie dieses hier – als Reflektion über den eigenen Gemütszustand gesehen werden, hier einer Künstlerin, die sich der eigenen Lebenssituation und den gesellschaftlichen Umständen auseinandersetzt.
Die Beschäftigung mit Stoffen, das Nähen, Sticken, Weben ist traditionell mit der weiblichen Rolle verbunden. Früher gab es noch ein Schulfach „Handarbeit“ in dem die Klassenkameradinnen in diesen Techniken unterrichtet wurden.
Das heißt: Textile Techniken und Materialien konfrontieren auch mit überkommenen Geschlechter-Klischees, die – um noch mal auf den Film zurückzukommen - vielleicht in der DDR mit der verbreiteteren Berufstätigkeit der Frauen weniger ausgeprägt waren.
Die Zeit ist glücklicherweise nicht stehen geblieben. Mit ihrer Arbeit und ihren Leben schweben die beiden Künstlerinnen über diesen Klischees.