Worte zur Eröffnung am 7.3.2025
Ich begrüße sie zur Ausstellung „Der grüne Himmel“ mit Arbeiten von Carolin Beyer aus Hamburg und Annette Selle aus Berlin.
Beide Künstlerinnen haben sich in sehr unterschiedlicher Weise mit dem Thema Landschaft/Stadtlandschaft beschäftigt, Carolin Beyer eher figurativ, Annette Selle in abstrakten farbigen Arbeiten.
Für die Ausstellung haben sie den Titel „Der grüne Himmel“ gewählt nach einem Gedicht von Uwe Michael Gutzschhahn, einem 1952 im Rheinland geborenen Schriftsteller.
Lässt sich zwischen dem Gedicht von Gutzschhahn und den hier gezeigten Arbeiten eine Korrespondenz erkennen?
Die Arbeiten von Carolin Beyer thematisieren verschiedenes Geschehen, das allesamt draußen stattfindet. Es handelt sich nicht um romantische Landschaftsbilder, kein „romantischer Mond“ und keine „Zauberweite der blauen Tiefe“, wie es im Gedicht heißt.
Ihre Bildideen entstammen dem Alltag: Biken, Transfer, Nachtfahrt, driving – der Mensch als Akteur, unterwegs: im Stau, im hektischen Transfer am Flughafen oder Bahnhof, wir sehen nur eilende Beine und Koffer, auf nächtlichen Straßen, zu Pferd, auf dem Fahrrad, als Reisender mit dem Campingwagen - in fotorealistischer Klarheit. Dabei wird durch das Format, durch den gewählten Bildausschnitt und durch die Farbgebung eine besondere Atmosphäre, eine Transformation ins Überindividuelle erzeugt.
Auch im Gedicht von Uwe Michael Gutzschhan geht es um Transfer - allerdings über der Erde. Da heißt es: „Die Entfernungen werden beflogen – mit Flugzeugen und Raketen“.
Der Mensch wird gezeigt als Nutzer seines Lebensraums, der Erde.
Der Titel der Arbeit „und macht sie euch zu untertan“ – bezieht sich auf eine Stelle aus dem Alten Testament, nämlich auf den Auftrag Gottes an den Menschen (Genesis 1,28): “ Seid fruchtbar und mehret euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen“.
Daraus leitete Descartes 1637 ab, die Menschen seien „Herrscher und Besitzer der Natur“. Inzwischen wird der Herrschaftsauftrag glücklicherweise zunehmend -und hoffentlich nicht zu spät- im Sinne einer treuhänderischen, die Natur schützenden Aufgabe verstanden.
Auf dem Bild sehen wir drei Menschen, die an einem Wasser stehen und z.T. mit Ferngläsern auf die andere Seite des Flussufers spähen. Das Wasser scheint am rechten Bildrand begrenzt. Die im Vordergrund stehenden Figuren werfen lange Schatten, d.h. die Sonne steht tief, es muss früh am Tag sein, aber es ist hell wie mittags. Es sind einige Gräser, Gebüsch zu sehen, keine größere Vegetation. Umso größer erscheinen die drei Figuren. Die andere Flussseite wirkt karg, vielleicht eine Dünenlandschaft? Die drei sehen aus wie Wanderer. Sie haben nur leichtes Gepäck dabei. Sie wirken nicht wie Eroberer der Erde. Lohnt es, den Fluss zu überqueren? Ist da noch jemand? Wir, die Betrachter haben eine etwas andere Blickrichtung. Wir können nicht das sehen, was die drei in der Ferne erblicken und wir wissen nicht, wonach sie Ausschau halten.
Auf der Arbeit „Dienstweg“ sehen wir einen Menschen aus dem Bild hasten, geschäftig. Auch hier Helligkeit und lange Schatten und eine verschlossen wirkende moderne Häuserfassade.
Es vermittelt sich eine kühle Stimmung.
Im Bild „Der Anführer“ schauen wir als Betrachter von schräg oben herab auf eine im Kreis angeordnete Gruppe von Kindern, die sich um einen „Anführer“ scharen, der farblich von den grauen Gestalten abgehoben ist. Der Hintergrund lässt an einen Sportplatz denken. Die Gruppe ist etwas aus dem Bildzentrum gerügt. Eine für Kinderspiel und Sport typische Szene. Aber der „Anführer“ wirkt von Körperhaltung und Gestik gar nicht bestimmend. Kein Einpeitscher für die nächste Halbzeit. Welche Botschaft oder Nachricht überbringt er wohl?
Wie in vielen ihrer Arbeiten stellt Carolin Beyer einen Moment einer Geschichte vor, die in ganz unterschiedlicher Weise weitererzählt werden kann.
Carolin Beyer benutzt Acrylfarben. Es gibt viel Blau- Grau- und Beigetöne, nur vereinzelt helle Farben wie z.B. bei den Autolichtern und rot beim Bahnsignal. Ihre figurativen Bilder wirken wie Momentaufnahmen, wie aus dem Leben ausgeschnitten. Wie geht es weiter nach der Besprechung der Kinder? Wohin eilt der Mensch mit der Tasche und warum? Wohin hasten die Reisenden? Was treibt die Menschen um?
Die Frage nach dem Wesen, den Beweggründen des Menschen beschäftigt Carolin Beyer auch in den vielen Porträts, die einen Schwerpunkt ihrer Arbeit ausmachen und in denen sie den Menschen nahekommen will, im Wesen, nicht im realistisch fotografischen Sinn.
Carolin Beyer hat in Hamburg an der Hochschule für angewandte Wissenschaften studiert. Neben Porträts und Landschaftsbildern hat sie auch christliche Themen bearbeitet und mehrere Altarbilder geschaffen.
2025 ist die Arbeit mit dem Titel der Ausstellung „Grüner Himmel“ entstanden, ein Sehnsuchtsbild in grün-blau- grauen Tönen gehalten.
Ein Mädchen sitzt auf einer diagonal ins Meer hineinlaufenden Buhnenreihe und schaut in unsere Richtung. Der Blick ist unbestimmt, vielleicht fragend. Das hochformatige Bild mit der niedrigen Horizontlinie lässt viel Raum für den Himmel. Meer und Himmel gehen von der Farbwahl und Formgestaltung fast ineinander über. Auch im Meer finden sich wolkige Formen.
Auch von Annette Selle gibt es Arbeiten mit dem Titel „Grüner Himmel“.
Annette Selle arbeitet weitgehend nicht-figurativ. Sie verwendet im Unterschied zu Carolin Beyer überwiegend Öl und Pigmente.
Annette Selle hat an der Kunsthochschule Weißensee Malerei und Kunstpädagogik an der Humboldt-Universität studiert. Sie ist Dozentin und Leiterin der Jugendkunstschule Atrium in Berlin.
Im Gedicht von Uwe-Michael Gutzschhahn geht es um die Vorstellung, dass alles anders sein könnte, der Himmel nicht mehr blau, sondern grün und die Wolken eckig, um eine Geometrisierung, um die technische Erfassung der Erde und letztlich um die Utopie, dass wir den Mond besiedeln.
Tatsächlich existieren solche science fiction Vorstellungen, den Mond oder gar den Mars zu besiedeln, wenn die Erde nicht mehr bewohnbar ist.
Annette Selles Bilder greifen die emotionale Bedeutung unserer Vorstellung von Himmel und Landschaft auf.
Die an der UdK lehrende Künstlerin Valerie Favre wurde gefragt, wie die durch die Lektüre eines Gedichtes (oder das Hören von Musik) ausgelösten Gefühle durch ein Bild hervorgerufen werden können. Nach Valerie Favres Meinung durch „Inszenierung eines im Bild eingefrorenen Momentes symbolischen und archetypischen Gehalts“. Ich verstehe ihre Erklärung so, dass Malerei der Versuch ist, durch das Werk etwas nicht genau Bestimmbares, schwer zu Versprachlichendes, vielleicht Unterbewusstes und nur Gefühltes auszudrücken, das beim Betrachter, der Betrachtenden eine Reaktion auslöst, von dem er oder sie sich in emotionaler oder kognitiver Weise angesprochen fühlt.
Das gerahmte Bild „Grüner Himmel“ weist einen kräftigen Farbauftrag in unterschiedlich intensiven Grüntönen auf. Man kann gut den Arbeitsprozess an den übereinander liegenden Farbschichten erkennen. Knapp über dem unteren Bildrand ist eine Horizontlinie zu erahnen. In der Bildstruktur lassen sich im unteren Bereich horizontale Elemente und daraus hervorgehende vertikale Strukturen erkennen, die im oberen hellgrünen Bilddrittel leicht zu den Seiten abweichen und an Gräser denken lassen. Das Bild gewinnt seine Lebendigkeit durch den kräftigen und vielschichtigen Farbauftrag und durch die inselartig in der Tiefe freiliegenden blauen und roten Farbtupfer.
Bei dem großen Bild, das den Titel „Der Wolf schläft“ trägt, fällt ebenfalls der pastöse Farbauftrag auf, wodurch eine angedeutete Dreidimensionalität entsteht.
Das Bild kann als bewegte Wasserlandschaft gesehen werden, wobei die betonte horizontale Struktur die Horizontlinie darstellen könnte. Am unteren Bildrand sind pflanzliche Formen zu sehen.
Bei den helleren Anteilen in der rechten Bildhälfte kann man an Wellenkronen oder Gischt denken. Insgesamt beeindruckt die Arbeit durch ihre Dynamik.
Wohin soll uns der Bildtitel „Der Wolf schläft“ lenken? .
Der Wolf könnte für das Wilde, Animalische sprechen, das zur Natur gehört und das auch in uns schläft und bei Gelegenheit herausbrechen kann. Zitat aus dem Buch der Symbole: Der Wolf verkörpert „die unsentimentalen instinktiven Energien der tierhaften Psyche“.
In zwei weiteren ihrer Arbeiten dominiert die Farbe blau. In der Arbeit „die ruhige See“ wirkt die See gar nicht ruhig. Eher scheinen sich strahlenförmig von einem farblich leicht abgesetzten explosivem Zentrum Kräfte in die Peripherie zu entfalten. Ruhig erscheint nur der über der angenommenen Horizontlinie geschlossene blaue Himmel.
In der kleinen Arbeit in Mischtechnik „im Himmel schwimmen“ ist die Grenze zwischen Himmel und Wasser vollends aufgehoben, so dass man im Himmel schwimmen kann.
Schließlich noch ein Blick auf das große rote Bild mit dem Titel „Schwarm“. Zunächst das kräftige Rot im Kontrast zum Blau auf der gegenüberliegenden Wandseite. Feuer und Wasser.
Auf dem „Schwarm“- Bild ist eine Vielzahl weitgehend organisiert angeordneter kleiner weißer Rechtecke zu sehen, die vom oberen Bildrand nach unten streben oder sich wie ein Vorhang über den roten Hintergrund legen. Die überwiegende Zahl dieser kleinen weißen Farbflächen ist parallel angeordnet. Diese regelhafte Struktur ist an einigen Stellen aufgehoben, so dass es zur Berührung der Elemente kommt. Der schwarze Bilduntergrund tritt am rechten Bildrand und links unten stärker hervor. Der Titel „Schwarm“ lässt an Schwarmfische, Vögel und Insekten denken, die sich zu Aggregationen zusammenschließen. Aggregationen sind Ansammlungen von Tieren ohne soziale Anziehung zwischen den Mitgliedern, die vom gleichen Objekt der Umwelt angezogen werden, z.B. einer Wasserstelle.
Es gibt die Schwarmintelligenz, die zu kollektiven Entscheidungen führen kann. Negative Auswirkungen der Schwarmbildung können der Herdentrieb und im Extrem das Verhalten von Lemmingen sein, die Massenselbstmord begehen, mutmaßlich zur Steuerung der Populationsgröße.
In der der Ausstellung gibt es nicht nur den grünen Himmel sondern auch eine großformatige Arbeit von Annette Selle mit dem Titel „Roter Himmel“, auf die aus Zeitgründen nicht näher eingegangen werden kann.
Den „Roten Himmel“ nehme ich zum Anlass, noch einmal zum Gedicht von Uwe-Michael Gutzschhahn zurückzukehren.
„Wenn morgen der Himmel nicht mehr blau wäre… usw“.
Das Gedicht und auch die künstlerischen Arbeiten können als Thematisierung unsere Vorstellung von Realität angesehen werden. Stimmt es, dass der Himmel blau ist? Sind wir uns darin einig? Oder gibt es konkurrierende Beschreibungen der Farbe des Himmels. Fraglos kann der Himmel je nach Wetterlage eine andere Färbung haben. Aber stimmen wir grundsätzlich darin überein, dass der Himmel im Prinzip blau ist? Gibt es eine generelle Übereinkunft darüber, was die Realität ist? Offenbar nicht.
Was für den einen wie rot aussieht, erscheint der anderen grün, übersetzt ins Allgemeine: das Glas kann als halbvoll oder halbleer angesehen werden, die Weltlage kann als eher gut oder ganz im Gegenteil als katastrophal schlecht wahrgenommen werden. Dass der Himmel als grün oder rot angesehen werden kann, mag für die Phantasie gut sein. Für die Verständigung und das Zusammenleben kann die unterschiedliche Realitätswahrnehmung dagegen zum Problem werden.