Der Titel der Ausstellung „über leben über sterben“ zitiere den Buchtitel eines 1985 von Ulrich Puritz herausgegebenen kleines Buches.
Die Ausstellung versucht einen Bogen zu schlagen von der Geburt bzw. schon von der Zeit davor bis zum Tod und darüber hinaus.
Dementsprechend beginnt es mit der fluoreszensmikroskopischen Aufnahme der dreidimensionalen Eiweiß-Strukturen des Zellskelettes in von Thomas Born.
Die Zelle ist wichtig, denn sie enthält das Keimmaterial. Und allein die Geschlechtszellen leben ewig.
Im Schaufenster ist das Foto einer schwangeren Frau von Catrin Welcher mit dem Titel "Name, Stadt, Land" zu sehen. Auf den Bauch der Schwangeren hat sie Linien eingezeichnet, die als Hinweise auf durch Geschlecht und Herkunft vorgezeichnete Wege gelesen werden können.
Zur Vorgeburtlichkeit können auch die auf Papier arrangierten Pflanzensamen von Mi Ram Kim gerechnet werden. Samen sind pflanzliche Embryonen. Sie sind in Wartestellung bis die richtigen Bedingungen gegeben sind.
Mit der Arbeit von Eleni Papaioannou "ohne Titel – in Klammern Neugeborenes" – begeben wir uns ins Leben, das sich aber gleich als fragil und gefährdet darstellt. Denn der Mensch kommt zu früh zur Welt, er ist noch ganz abhängig und angewiesen auf Hilfe.
Der Bereich des Lebens wird durch Arbeiten von Sabine Noll und Pia Maier repräsentiert.
Die Enkaustik Arbeit von Sabine Noll trägt den Titel "Chiara", aus dem Lateinischen abgeleitet bedeutet es „hell, leuchtend, schön“ und weist ebenso wie die dynamische Arbeit von Bodo Rott auf die lebendige Seite des Lebens hin. Etwas ambivalenter geht es schon in der Cyanotypie "Alice am Bahnhof" zu, wo sich Aufbruch und Bedrohlichkeit und Ungewissheit ausmachen lassen. Von Pia Maier, der jüngsten unter den teilnehmenden KünstlerInnen sehen wir ein Selbstporträt. Sie schaut etwas angespannt, ängstlich, mit großen Augen in die Zukunft.
In den eher abstrakten Arbeiten von Hector Navarrete und Pia Maier kommt eine Atmosphäre, eine Lebensstimmung zur Darstellung: heller, vitaler- vielleicht zuversichtlicher bei Pia Maier, eher meditativ introspektiv dagegen in den Arbeiten von Hector Navarette – ebenso in seinem kurzen Video mit dem Titel „respiro- breathe".
Die Collage von Thomas Born mit dem Titel „Leib-Seele“ kann als Anknüpfung an die Thematik der Arbeit von Eleni Papaioannou aufgefasst werden. Das Leben als Kampf, was auch Leiden beinhaltet. In der komplexen Collage ist diese Spannung, Gegensätzlichkeit in nachdrücklicher Weise dargestellt.
Der hintere Raum ist dem Thema Sterben gewidmet. Die beiden großen Fotoarbeiten von Catrin Welcher tragen den Titel "Transit". Sterben als Übergang – aber Übergang wohin?
In der griechischen Sagenwelt trennt der Fluss Styx die Welt der Lebenden und das Totenreich, den Hades. Die Seelen der Toten werden dabei von Charon dem Fährmann über den Fluss geschifft. Damit der Tote den Fährmann bezahlen kann, wurde ihm eine Münze unter die Zunge gelegt.
Wir kennen Grabbeigaben aus Ägypten, die die auch dort vorhandenen Vorstellungen von einem Weiterleben nach dem Tod bezeugen.
Die Überzeugung, dass der Mensch und auch das Tier eine unsterbliche Seelengestalt besitzt, ist nicht nur in vielen Volksreligionen, sondern mit Ausnahme des Buddhismus bei allen Hochreligionen zu finden.
Es bestehen unterschiedliche Meinungen über die Art des Weiterlebens: als Seele, in einem anderen Körper oder nach dem Weltgericht in wieder eigener körperlicher Form.
Ist der Tod nur ein "Ewiger Schlaf", wie Mi Ran Kim ihre Arbeit betitelt hat, aus dem man irgendwann wieder aufwacht?
In dem Gedicht „Von Fernen, von Reichen“ aus dem Jahr 1927 schreibt Gottfried Benn: „ was dann nach jener Stunde sein wird, wenn das geschah, weiß niemand. Keine Kunde kam je von da.“
Benn war skeptisch:
In seinem Gedicht heißt es weiter: „von den erstickten Schlünden, von dem gebrochenen Licht. Wird es sich neu entzünden, ich meine nicht“.
Sabine Noll hat in einem Salzsee einen toten, teilmumifizierten Hasen gefunden und ihre Arbeit „Zurück zur Erde“ genannt.
Die Rückkehr in den Kreislauf der Natur nach dem Tod greift auch Regine Weiss auf mit ihren zarten Arbeiten, die mit „Staub“ betitelt sind. „Staub bist du und zum Staube kehrst du zurück“ heißt es in der Bibel. „Ich bin, doch was, weiß niemand“ hat sie ihre Serie genannt.
Jutta Barth zeigt "Davids Großmutter" vier Tage vor ihrem Tod. Der Blick scheint schon ins Jenseits gerichtet. Auch in dieser Arbeit wird durch eine Hinzufügung von Asche und Fasern eine Einbindung des Versterbenden in die Natur vorgenommen.
„Kaum ein Hauch“, ein Objekt ebenfalls von Jutta Barth aus Samenständen des Perückenstrauchs verknüpft die Samen, die Pflanzenembryos, mit dem Hauch aus dem Gedicht „Ein Gleiches“ aus Wanderers Nachtlied von Goethe.
Ueber allen Gipfeln
Ist Ruh',
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.
Die Arbeiten von Elisabeth Leyde und auch die große Arbeit von Mi Ran Kim bringen in poetischer Weise das Verschwinden, das Herausfliegen, Herauspurzeln, Entschwinden im und aus dem Leben zum Ausdruck.
„Immer enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet hoffen, hassen lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.“
Heißt es im Gedicht „Ausgang“ von Theodor Fontane
Das Kreuz, hier vertreten durch das schwarze von Linda Scheckel aus Korkasche gefertigte Bild "Kreuzung", ist zur generellen Chiffre des Totseins geworden. Im Christentum symbolisiert der vertikale Balken die Verbindung zwischen Gott und dem Menschen und ist eng mit der Vorstellung von Schuld und Sühnung verbunden.
Wie eingangs erwähnt lässt sich der Titel der Ausstellung auch auf das danach ausweiten: das Überleben.
Wie lässt sich mit Krankheit, Verlust, Tod weiterleben?
Hier soll noch auf zwei Arbeiten und eine Veranstaltung hingewisen werden: den Friedhof von Mi Ran Kim, eine "Hommage an Caspar David Friedrich". Der Friedhof als Gedenkort, aber auch als ein Ort, an dem man dem Verstorbenen nahe ist. Oft werden dort noch Gespräche mit dem Toten geführt. Erste Bestattungen gab es vor ca. 100000 Jahren. Bestattungen werden als Hinweis auf das Vorhandensein metaphysischer Vorstellungen angesehen. Z.B. könnte der Sinn der nach dem Tod vorgenommenen Schädelöffnungen darin liegen, der Seele zu ermöglichen, den Körper zu verlassen.
Von Angela Zumpe stammt die Gouache "Symbiose", ein Andachtsbild, eine Pieta, ein Bild des Mitleidens, anknüpfend an die Leidensgeschichte Jesu, der nach der Abnahme vom Kreuz in den Schoß seiner Mutter gelegt wird. Eine Collage, die verschiedene Votivelemente enthält, kleine Tafeln, die man als Dank für Errettung oder Heilung in Kirchen finden kann. Ausdruck eines Glaubens an Gott oder an überirdische Mächte, die Hilfe beim Überleben sein können.