Mara Sandrock -- precious things

Mara Sandrock beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit dem Phänomen der Oberflächen als einer Grenze zwischen Außen(Welt) und Innen (Raum/Körper). Die Haut stellt eine besondere Erscheinungsform dieser Oberfläche dar. Mit der Haut nehmen wir Kontakt zur Umwelt auf. Die Haut schützt und verbirgt. Sie ist gleichzeitig ein kommunikatives Organ und lässt durch Veränderungen wie Erröten Einblicke in unser inneres Erleben zu.

 

Mara Sandrock verwendet in ihren Arbeiten neben den traditionellen Werkstoffen der Malerei organische Materialien wie Darm, Leder oder Latex, die ein kaum lenkbares Eigenleben entwickeln können, indem sie wachsen oder ihre Form verändern. 

Bearbeitete Gewebe überziehen - mal schlaff, mal gespannt -  Kästen und Keilrahmen und hängen von Wänden oder Gestellen herab.

Bei ihrer Arbeit entsteht oft kein „abgeschlossenes“ Werk. Die organischen Prozesse verweisen auf die Bedingungen des Menschseins, das Werden und Vergehen. 

Das künstlerisches Vorgehen von Mara Sandrock ist von einer wissenschaftlichen Herangehensweise geprägt.

 

Mara Sandrock hat neben ihrem Kunststudium an der Burg Giebichenstein ein Medizinstudium absolviert.  Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit arbeitet sie als Ärztin im anatomischen Institut der Universität Leipzig.  

 

 

Begrüßung 25.11.2022 

Precious things ist der Titel der Ausstellung mit Arbeiten von Mara Sandrock.

 

Wertvolle, edle Dinge – das wird sich vielleicht nicht gleich auf den ersten Blick erschließen.

 

In ihren Arbeiten beschäftigt sich Mara Sandrock mit dem Phänomen von Oberflächen. Oberflächen sind Grenzen. Sie trennen ein innen und außen, wie äußerlich sichtbar die Haut – und im Inneren des Körpers die Wände der Hohlorgane, des Herzens, des Magens, des Darms, der Blase.

 

Eine besondere Bedeutung hat für uns die Haut als äußere Hülle. Sie bietet Schutz und Form und nimmt regen Anteil am Stoffwechsel z.B. bei der Wärmeregulation und dem Stoffwechsel. Und sie hat einen bedeutenden Anteil an der Gesamtgestalt des Menschen, seiner Außenwirkung und seines Selbstwertes. Daneben ist die Haut ein bedeutendes Sinnesorgan. Die Haut ist das erste Kontaktorgan in der menschlichen Entwicklung. Der Embryo im Mutterleib reagiert schon auf Berührung zu einer Zeit, zu der er noch nicht sehen und hören kann.

Und die Haut ist „Spiegel“ der Seele und zeigt durch Erröten oder Erblassen unser psychisches Befinden an.

Sie ist nicht nur körperliche sondern auch psychische Hülle, sie umschließt die Person, das Selbst, die eigene Identität.

 

Mara Sandrock blickt in ihren Arbeiten unter die Haut. Sie öffnet die Haut und richtet den Blick auf das, was sich darunter befindet. Mara Sandrock ist Ärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im anatomischen Institut der Universität Leipzig.  

 

Schon in der Antike bestand ein großes Interesse der Künstler an der Anatomie und an der Darstellung des menschlichen Körpers. Die Erkundung des Körperinneren setzte erst später ein.

Leonardo da Vinci soll zwischen 1490 und 1510 mehr als 30 Sektionen vorgenommen haben.

 

Können wir also „precious things“ auf das beziehen, was sich unter der Haut befindet?

 

Was sehen wir? Pralle wurstförmige Gebilde, häutige Oberflächen, die dahinter etwas erahnen lassen, einen mit verschiedenen organisch aussehenden Objekten gefüllten Binnenraum, kastenförmige Objekte, die mit dünner, mehr oder weniger sichtdurchlässigen Haut überspannt sind.

 

In Mara Sandrocks Arbeiten sind die Grenzen zwischen zwei- und dreidimensional aufgehoben.

 

Die Körperorgane erscheinen natürlich, echt Sie sind aber mit Mitteln der Malerei und Skulptur erzeugt.

Mara Sandrock verwendet für ihre Arbeiten Naturdarm, Wachs, Latex, Füllstoff, Salz, Hasenleim, Flachs, Pigmente, Ruß.

 

Es findet eine Art künstlerische Forschung statt, wobei sie die Eigenschaften des Materials, zu wachsen oder sich zu verändern als performativen Prozess nutzt.

Es veranschaulicht ihre Idee von der Unabgeschlossenheit des Werkes, der Vergänglichkeit der Materiellen und auch des Lebens.

Dabei behält das Material eine gewisse Autonomie gegenüber der Schöpferin. 

 

Dazu passt, dass Mara Sandrock kürzlich Im Rahmen des Artist-in-lab-2022 der Fraunhofer Gesellschaft zusammen mit anderen Künstlerinnen an einer Aktion teilgenommen hat, bei der sie Schleimpilze in Labyrinthe geschickt und essbare Pilze wachsen ließen.

 

Zurück zu precius things:

Wie nehmen wir die ausgestellten Arbeiten, die drallen Würste und den Blick in das Innere wahr?  Liegen die wahren Kostbarkeiten tatsächlich verborgen unter der Oberfläche - und sehen erst mal gar nicht so kostbar aus?

 

Mara Sandrocks arbeiten mit der Dialektik des Freigebenden Verbergens. Der Betrachter bekommt eine Ahnung, was hinter der dünnen Haut zu sehen ist.

 

Hierbei ist zwischen Körper und Leib zu unterscheiden.

 

Der Körper ist das Erscheinungsbild, die Person im psychologischen und politischen Sinn.

Die Schönheitschirurgie, Botox und die Tätowier- Studios können die Haut, das Erscheinungsbild  der Person verändern. Der Körper lässt sich heute als Produkt der Selbstverwirklichung gestalten. 

 

Dagegen verweisen uns die drallen Därme, die aufgeplatzte Haut, der Blick ins Innere der Bauchhöhle auf den Leib, der wir letztendlich sind. Der Leib besteht aus Fleisch und Blut und vielen anderen Dinge, die gemeinhin eher Ekel auslösen. Am Leib als dem körperlich „Eigentlichen“ sind Veränderungen – außer im Rahmen medizinisch erforderlicher Maßnahmen nicht möglich – wobei hier die Grenzen sicher nicht ganz scharf zu ziehen sind.

 

Mara Sandrocks Thema ist die Identität. Wer sind wir, wenn die oberste Schicht abgelöst wird? Oder muss man noch weitere Schichten abheben, vielleicht mehr in Richtung Leib? 

Mara Sandrock äußerte in einem Interview, der weilbliche politische (gesellschaftliche) Körper sei stärker mit dem Leib verbunden als der männliche. Vielleicht spielt dabei die Fähigkeit, Kinder zu bekommen, Schwangerschaft und Geburt zu erleben, eine Rolle.  

Ändert sich durch diese Leiberfahrung die eigene und fremde Wahrnehmung des Körpers?  Oder auch: wie wirkt sich das Altern auf das Identitätsgefühl und das Verhältnis von Körper- zu Leibwahrnehmung aus?

 

Johanna Geißler schreibt im Mara Sandrock Katalog, die Arbeiten von Mara Sandrock seien „nicht klassisch schön im Sinne des Wohlgefälligen“. Mit der Frage, was schön ist, wird sich Professor Wolfgang Harth, Leiter der Dermatologischen Klinik im Klinikum Spandau in seinem Vortrag bei der Finissage beschäftigen und dabei der Bedeutung dieser Frage auch im Hinblick auf die ästhetische Medizin nachgehen.

 

N.H.

 

 

 

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