spaces & traces

spaces & traces – Räume und Spuren ist der Titel der Ausstellung mit Arbeiten von Elfi Greb (Fotografien), Gabriele Nocker (Objekte/Skulpturen) und Katrin Salentin (Collagen).

 

Wir leben in, sind umgeben von Räumen. Auch unser Körper ist ein Raum. Wir finden Zeichen der Veränderung an uns und in den Räumen um uns - Lebenszeichen, Erinnerungsspuren, Verweise auf die Vergangenheit. 

Elfi Greb zeigt in ihren Fotografien neugebaute Kellerräume des Wissenschafts- und Restaurierungszentrums, deren Bestimmung wir nicht wissen. Es fallen helle Lichtstreifen auf die Wände und in die Raumfluchten und lassen zeichenhafte Strukturen auf den verputzten Flächen sichtbar werden.

Gabriele Nocker gestaltet Skulpturen in Form von „gebrannten Räumen“, wobei sie durch die Benutzung eines besonderen keramischen Brennverfahrens dem Feuer eine Mitgestaltung/Verformung ihrer Arbeiten überlässt.

Katrin Salentin dekonstruiert in ihrer digitalen und analogen Vorgehensweise Körperbilder und re-arrangiert sie als Collagen in verfremdeter Weise neu. Aus den zerlegten Bildern und den Spuren ihrer Körper-Geschichten entstehen „Mischbilder“ mit irritierenden Wesen und rätselhaften Identitäten.

 

 

 

 

Traces - Spuren, Zeichen. Wo Spuren sind, muss es jemanden gegeben haben, der die Spur hinterlassen hat. Die Spur sagt: hier war mal jemand oder hier hat in der Vergangenheit ein Ereignis stattgefunden. Dagegen ist das Zeichen mehr nach vorn gerichtet, eine Botschaft, ein Kommunikationsversuch. 

 

Spaces: Es gibt den Weltraum. Space-Shuttle. Es gibt Außenräume. Wir leben in einer uns umgebenden äußeren Welt. Daneben gibt es Innenräume, Höhlen, Kammern. Die Haut ist unser Grenzorgan, die Außen und Innen trennt.

Bei den Innenräumen können wir unterscheiden in den organischen Teil, das Fleisch und den Gefühlsraum. Der äußere Raum, die Umgebung wirkt auf den Gefühlsraum und beeinflusst, wie wir uns fühlen. Umgekehrt nehmen wir die Umgebung durch unserem jeweiligen Gefühlszustand gefärbt wahr. Unsere erste, allerdings nicht bewusste Raumerfahrung ist die Gebärmutter. Viele der ersten Heimstätten, die sich die Menschen geschaffen haben, hatten schoßartige, höhlige Strukturen, wie die Höhlen von Tieren.

Gibt es den Raum auch ohne Menschen? Oder schaffen wir erst den Raum durch den Blick aus unseren Augenhöhlen nach außen? Ohne uns gäbe es jedenfalls den Begriff Raum nicht.

 

Von Elfie Greb stammen die hier gezeigten Fotografien, die aus ihren Werkgruppen wrz und houses stammen. Die Arbeiten der wrz-Gruppe (Wissenschafts- und Restaurierungs-Zentrum) zeigen leere Räume, Raumfluchten. Dazu gehört auch das große Bild an der Stirnseite, das die Galerie in die Tiefe zu verlängern scheint. Wir sehen Betonflächen, auf denen Maserungen, Linien, Strukturen zu erkennen sind. Zufälligkeiten des Materials? Es gibt Durchbrüche zwischen den Räumen. Das Licht – wo kommt es her? – hebt einzelne Abschnitte hervor. Befinden wir uns in einem Tunnelsystem? Ich musste an Kafkas Parabel „Der Tunnel“ denken, die ich zitiere, weil man es besser nicht sagen kann:

Wir sind, mit dem irdisch befleckten Auge gesehen, in der Situation von Eisenbahnreisenden, die in einem langen Tunnel verunglückt sind, und zwar an einer Stelle, wo man das Licht des Anfangs nicht mehr sieht, das Licht des Endes aber nur so winzig, daß der Blick es immerfort suchen muß und im- merfort verliert, wobei Anfang und Ende nicht einmal sicher sind. Rings um uns aber haben wir in der Verwirrung der Sinne oder in der Höchstempfindlichkeit der Sinne lauter Ungeheuer und ein je nach der Laune und Verwundung des einzelnen entzückendes oder ermüdendes kaleidoskopisches Spiel. Was soll ich tun? oder: Wozu soll ich es tun? sind keine Fragen dieser Gegenden. 

 

Die Arbeiten aus ihrer Werkgruppe houses zeigen Aufnahmen der und aus der Nationalgalerie. Die Arbeiten sind entstanden nach der Renovierung der Neuen Nationalgalerie, noch im Leerzustand ohne Bilder. Man sieht das berühmte faszinierende Gebäude wie abgehoben, im Raum schwebend. Das mehr als 1000 Tonnen schwere Stahldach wirkt optisch ganz gerade. Tatsächlich sind die Mitte und die Ecken leicht nach oben gebogen. Und drinnen besticht die Klarheit der Raumgestaltung. Nur ganz in der Tiefe des Raumes sind die Silhouetten zweier Menschen zu sehen. Eine leere Bank weist darauf hin, was bald dort wieder los sein wird. Jetzt herrschen noch Stille, Leere, Weite vor, die in der für Elfi Grebs Arbeit typischen lakonischer Weise erfasst und dargestellt werden. Hier wird kein Objekt gehypt, sondern die Fotografin tritt hinter ihr Objekt zurück. Ihr Können besteht neben ihrem technischen Vermögen als Fotografin in der Fähigkeit, den ästhetischen Reiz der vorgefunden Situation wahrzunehmen, die besondere Räumlichkeit, den Einfall des Lichtes – und damit etwas Unbemerktes, nicht Beachtetes in die Aufmerksamkeit und das bewusste Betrachten zu heben.

 

Überdies laden beide Werkgruppen dazu ein, sich die Verflechtung von Außenraum und Gefühlsraum bewusst zu machen. Wie würde ich mich im Keller des wrz und wie in der leeren Nationalgalerie fühlen?

 

Elfi Greb stammt aus Traunstein. Sie hat zunächst eine Ausbildung zur Fotografin absolviert und danach an der UDK in Berlin studiert.

 

Auch Gabriele Nocker stammt aus Süddeutschland. Sie hat Bildungswissenschaft studiert. In den 1980 Jahren begann sie mit keramischen Arbeiten. Sie hat viele Reisen unternommen und dabei die Arbeit und die soziale Bedeutung der Arbeit mit Ton in verschiedenen Kulturen erkundet. Ton als preiswertes Material, Ton als Teil der Schöpfungsmythologie. Gott hat Adam aus Erde geschaffen.

Seit 2016 lebt sie in Berlin und in der Uckermark.

 

Auf der Titelseite ihres hier ausliegenden Kataloges taucht neben Figurationen und working things 3x das Wort Raum auf: Raumkörper, sprachRäume, injured spaces= verletzte Räume. 

 

Die beiden hier auf dem weißen Sockel platzierten Raumkörper sind wie alle hier ausgestellten Arbeiten aus Keramik. Die leichte Rosafärbung kann an Fleisch mit Maserung denken lassen. Die Oberfläche wirkt leicht durchscheinend.

Sie stehen in einem fast 90 Grad Winkel zueinander, so dass die etwas ausragenden Anteile räumlich übereinander liegen. Dadurch entsteht zwischen den beiden Köpern und zusätzlich zwischen den angedeuteten Spitzen ein Zwischenraum, ein Spannungsfeld, der Raum der Nähe-Distanz-Abstimmung. Dem entspricht auch der Titel der Arbeit: „Dialog“.

 

Die ockerfarbenen Raumköper, die im Schaufenster auf Metallsockel stehen, wirken turmartig. Die zugewandten Seiten weisen eine konvexe bzw. konkave Form auf. Ihre Oberfläche ist fleckig zeichenhaft. Man kann an die sich zueinander-biegenden Figuren der Tangotänzer denken.

 

Im Unterschied zu den erwähnten geschlossenen Arbeiten haben die beiden weißen ebenfalls quaderförmigen Raumkörper eine durchbrochene Vorderseite, die den Blick in das rötliche, leicht glänzende Innere freigibt. Die unteren Felder erscheinen verschlossen, eines wie von innen zur Hälfte aufgestoßen. Die Außenhaut weist girlandenförmige Zeichen (wie Tätowierungen?) auf, die beim Brennen durch aufliegende Haare entstanden sind.

 

Im hinteren Raum sehen wir eine Gruppe von 5 zusammenstehenden kubus- bzw. quaderartigen alabasterfarbenen Gebilden unterschiedlicher Größe. Man mag an eine Gruppe von Behausungen denken, allerdings haben sie nur kleine Fenster und keine Türen. Ich fühlte mich an die Abbildung einer alten chinesischen Zeichnung eines Hauses erinnern: klein, würfelförmig-höhlig mit winzigen Fenstern –, bescheiden, ein Schutzraum – ein starker Kontrast zur offenen gläsernen Neuen Nationalgalerie. Was sagt die Veränderung unserer Gebäudeformen über unser emotionales Befinden aus? Vielleicht ein verringertes Bedürfnis nach Schutz?

 

Schließlich haben wir noch die Gruppe der Sprachräume, ebenfalls fast geschlossene schwarz-grüne Hohlkörper, rechteckig, teils von gröberer Körnung, teils glatt, mit kleinen schießschachtartigen Öffnungen, von archaischem Aussehen. Auch hier finden wir die Verbindung von spaces und traces, diesmal ausdrücklich in Form von Worten, die in die Oberfläche eingedrückt sind und farblich herausgehoben werden. In zwei der Objekte ist ein weißer Torso zu sehen, der einmal von der Decke herabhängt, bzw. am Boden liegt.

Die Worte geben uns Rätsel auf: „Beide wir- nichts wussten – dunkel zerschnitten.“ „Wie Zustand morgen – ein Meer zu Ende segeln – ich ist ein“. Wir können damit spielen, die Worte vertauschen und versuchen, Verständlichkeit zu erzeugen. 

Wie wir überhaupt angeregt, herausgefordert sind, uns einen Reim auf das Wahrgenommene zu machen, Assoziationen zu eigenem Erlebten herzustellen, unsere eigenen Phantasien zuzulassen.

 

Gabriele Nocker benutzt zum Brennen die Rauchbrand- und Raku-Brand Technik, bei der die Objekte dem offenen Feuer ausgesetzt werden mit auf Grund der ungleichmäßigen Temperatur unterschiedlicher und nur begrenzt vorhersehbaren Wirkung. Dadurch entsteht die raue spröde wirkende Oberfläche. Durch Beimischung von bestimmten Substanzen können besondere Farbeffekte erzielt werden.

 

Katrin Salentins Collagearbeiten bilden dazu einen starken farblichen und formalen Kontrast. Zu ihrer Herangehensweise zeige ich ein Bild ihres Ateliers. Zu sehen sind eine Fülle von Ausdrucken und ausgerissenen Seiten aus Magazinen, ein Ausschnitt aus der täglichen verfügbaren gedruckten und im Internet auftauchenden Bilderwelt, zerlegt oder wie es gebildeter heißt de-konstruiert, d.h. nicht willkürlich zerrissen, sondern seziert nach Farbflächen oder Motiven. Der Flut ist nicht Herr/Frau zu werden, sie nimmt kein Ende, ist überwältigend an Formen und Farben.  Ein Wettkampf um Aufmerksamkeit, mit immer weiter gesteigerter Intensität der Reize, grelleren Farben, ausgefalleneren Formen. Dabei ist vieles Fake, eine konstruierte Wirklichkeit, die mit der realen Alltagswirklichkeit nur noch begrenzt zu tun hat. Es gibt nur noch makellose Körper, der realen Welt wird eine illusionistische Welt entgegengestellt. Ist das ein globales oder ein der Verwertungslogik des Kapitalismus zu verdankendes Phänomen?

Was bei den einen aus einem Gefühl von Überschwemmt-werden Abwehr auslöst, weiß Katrin Salentin künstlerisch für ihre Arbeit zu nutzen.

Sie bleibt nicht bei der De-Konstruktion stehen, sondern entwickelt durch eine probierende, forschende Verknüpfungsarbeit eine Gegenwelt. Sie modelliert Köper um. Vielleicht kommt ihr Konzept im Titel ihrer im Vorraum hängenden Arbeit gut zum Ausdruck: „looking back, moving forward“, eine künstlerische Form der Selbstbefragung. Wer bin ich – und wer oder wie könnte ich auch sein? Über das alte Bild legt sich ein neues – und damit auch eine neue, eine andere Geschichte.

Es geht um den Körper, die Identität. Damit reflektiert sie die Thematik der Veränderungsmöglichkeiten des Körpers und der Identität, die durch die körperverändernden, modifizierenden Möglichkeiten der Medizin gegeben sind. Ich denke z.B. an body-art. Der zypriotisch-australische Künstler Stelarc ließ sich ein drittes Ohr am Unterarm annähen, die französische Künstlerin ORLAN ließ sich mehrfach ihr Gesicht umgestalten. Ein Mann wollte oder hat sich ein gesundes Bein amputieren lassen, weil er es als Fremdkörper empfand. Die Schönheitschirurgie bietet Brazilian Butt Lift, die Gesäßform brasilianischer Tänzerinnen an usw. Auf der Plattform second life kann man sein Geschlecht wechseln oder sich in einen Hybriden verwandeln. Die Veränderungen finden im sozialen Raum statt, es geht um die eigene Identität, aber auch um die Wirkung nach außen, auf andere Menschen.

Katrin Salentin lässt neue dystope Mischwesen entstehen mit veränderten Körperformen. In der Medizin bedeutet Dystopie, dass ein Gewebe am falschen Ort liegt. 

Man muss nahe an die einzelnen Arbeiten herantreten, um die Details wahrnehmen zu können, und die Bereitschaft haben, seine Phantasie dieser bizarren Figurenwelt zu überlassen - ohne gleich mit Abwehr oder Überforderung zu reagieren – und einen Sinn haben für den skurrilen Humor, der manche ihrer Arbeiten prägt.

 

Katrin Salentin ist in der Eifel aufgewachsen. Sie hat in Aachen visuelle Kommunikation studiert und lebt in Berlin. Viele ihrer Arbeiten sind in der Pandemie-Zeit entstanden, in der die Außenräume leer waren und eine verstärkte Beschäftigung mit den Innenräumen, der Wohnung und dem Ich stattfand. In einem Statement von 2021 hält sie fest: „Rückblickend ist die Körper-Raum- Beziehung eine zerrüttete.“ Es ist zu hoffen, dass sich diese Beziehung nach dem Ende der Corona-Beschränkungen wieder verbessert, wo wir den Raum jetzt wieder bevölkern und einnehmen können.

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