Tanzperformance Anna Barth
Linda Scheckel hat an der Hochschule der Künste (jetzt UdK) in Berlin bei Herbert Kaufmann studiert. Ihre Zeit als DAAD-Stipendiatin verbrachte sie in Rom bei Jannis Kounellis.
Ihre Malweise ist geprägt von einem spontanen, aus der Körperbewegung entstehendem Impuls und nachfolgenden Überarbeitungen. Ausgangspunkt sind oft Eindrücke aus der Umwelt: ein Geräusch, ein Geruch, ein flüchtiges Bild, eine Bewegung. Sie bevorzugt Papier, auch schon benutzte Papiere, die sie be- und übermalt, zerreißt und neu zusammensetzt, überklebt und mit anderen Materialien verbindet.
In ihrem Umgang mit dem Material gibt sie dem Zufall Raum: in welcher Weise sich das Leinöl mit dem Papier verbindet und wie weit es sich vom Zentrum eines Farbkleckses ausdehnt, hat sie ebenso wenig in der Hand wie den Ablauf der Trocknungs-prozesse von flüssig auf die Leinwand aufgetragener Farbe.
Thematisch ist sie angezogen vom Spannungsverhältnis der Gegensätze wie Leere und Fülle, Leben und Tod.
In ihrer Arbeit folgt sie keinen vorab entwickelten Bildideen. Vielmehr arbeitet sie oft in Serien, die um eines der sie beschäftigten Themen kreisen. Dabei entstehen - wie man in den Serien „Fluss“ oder „Tod“ sieht - eine größere Anzahl ähnliche, sich nur in der Ausprägung der Struktur und der Farbintensität unterscheidende Bilder.
Bei der Schaffung ihrer Arbeiten ist Lina Scheckel bemüht, sich zunächst von ordnenden Gedanken und inneren Einwänden frei zu machen und aus einer geistigen „Leere“ heraus den körperlichen Bewegungsimpulsen, dem Rhythmus der Stift- und Pinselführung aus dem Arm, ja aus dem ganzen Körper heraus zu folgen. Der Körper weiß oft mehr, was zu tun ist, als der Kopf. Erst später nimmt sie bewusst gestaltend Einfluss auf ihre Arbeit. Damit steht sie in der Tradition des Zen-Buddhismus und der Surrealisten, die mit ihren automatischen Zeichnungen die verstandesmäßige Kontrolle ihrer Arbeit auszuschalten bemüht waren.
Die Thematik der „Leere“ kommt auch in den beiden mit „Void“ betitelten großen Farbarbeiten zum Ausdruck. Unter Voids werden in der Astronomie die riesigen Hohlräume in der wabenförmigen Struktur des Universums verstanden.
Der Bezug zum Universum und zur Transzendenz wird ebenso in ihren Arbeiten mit Korkasche hergestellt, von denen in der Ausstellung nur das richtungweisende Blatt „Kreuzung“ zu sehen ist. Hier liegt zunächst die Bedeutung als christlich- kulturelles Zeichen, die Beziehung zwischen Gott und den Menschen nahe. Der Kreuzungspunkt ist daneben der Ort der Entscheidung über den einzuschlagenden Weg und verweist auf die Eigenverantwortlichkeit des Menschen
Angst, Tod, Fluss, Kreuzung – die Themen der Arbeiten von Linda Scheckel verdeutlichen ihr Interesse an existentiellen Fragestellungen.
Ihre Arbeiten zeichnen sich einerseits – wie in der Serie „Tod“ durch eine kraftvolle Eindringlichkeit aus, andere dagegen – wie die Serie „Fluss“ und die Voids - vermitteln eine meditative Innerlichkeit, eine Ruhe, ein leises Schwingen und laden zum Verweilen ein.
Linda Scheckel hat in der Vergangenheit mit KünstlerInnen, die sich anderer Ausdruckformen wie Musik oder Tanz bedienen, zusammengearbeitet.
Die Vernissage wurde begleitet von einer Tanzdarbietung von Anne Barth, einer im japanischen Butoh-Tanz ausgebildeten Tanz-Performerin.
Text zur Finissage der Ausstellung „Leeren“ von Linda Scheckel (Norbert Hümbs)
Martin Heidegger: „Das Sein ist die vollkommene Leere, die im gleichen Zug Fülle ist“.
Das klingt zunächst widersprüchlich. Allerdings: die fernöstliche Philosophie versteht unter Leere einen konzentrierten Zustand, in dem die Mannigfaltigkeit der Welt und der Wirklichkeit erfahren werden kann. Dabei wird der Zustand der Leere als Bedingung angesehen, unter der sich der Mensch des „Logischen Jenseits“ - oder einfacher ausgedrückt dessen, was jenseits des Logischen existiert, bewusst werden, es wahrnehmen und es erfahren kann - und was als "Fülle" imponiert.
Die Zurückstellung des Logischen, des Rationalen kommt in der Malerei u.a. in der Weise des Einbezugs des Spontanen und Zufälligen zum Ausdruck wie z.B. bei dem „automatischen Zeichnen“. Linda Scheckel beschreibt ihre Arbeitsweise als ein zunächst absichtsloses, wenig gesteuertes Tun. Sie überlässt es dem Zufall, wie sich das flüssig auf das Papier gebrachte Leinöl verteilt und fügt spontane, aus der Körperbewegung entstehende Linien hinzu.
Nach Bayl entstehen: „Malerische Gestaltungen ... durch eine psychosomatische Motorik: Hand, Pinsel und Farbe sind Mittler, gelenkt von Materialien, plastischen Gesetzen und künstlerischer Intuition“.
Durch Grattage -Techniken und nachträgliche Bearbeitung der Blätter mit verschiedenen Werkzeugen wie Sticheln mit der Radiernadel oder mit Schleifpapier verletzt Linda Scheckel den Malgrund und es erscheinen Risse, Löcher und Verwerfungen, die in ihrer Verteilung und Ausprägung zufällig wirken.
Werner Haftmann charakterisiert das informelle nicht-gegenständliche Bild als „Schrifttafel, auf der der Künstler (die Künstlerin ) in spontaner Gestik die durch ihn hindurchgehenden Erregungen und Leidenschaften, die der Prozess des Existierens in ihm auslöst, einzeichnet“.
Wie lassen sich die Arbeiten von Linda Scheckel verstehen?
Nach Michael Schwarz sind „für den Zugang zu den ungegen-ständlichen Materialbildern die individuelle Disposition und der persönliche Erfahrungsschatz des Betrachters wichtiger als der Versuch, diese Werke auf verbindliche Inhalte festzulegen“.
Haben Linda Scheckels Arbeiten einen benennbaren Inhalt?
Vielleicht gelingt ein Zugang eher, wenn man sich als Betrachter/in von der Vorstellung eines eindeutigen Inhalts freimacht und stattdessen versucht, den Themenbereich, in dem die Arbeiten angesiedelt sind, zu erfassen und den eigenen Assoziationen zu folgen: z.B. zu der Symbolik des Kreuzes oder des Kreises, zu den Zeichen und Flecken oder zu den im Bild sichtbaren Spuren des Schaffensprozesses. Oder man nimmt die Arbeiten wahr als reine Manifestation und Ausdruck der Linda Scheckel eigenen Weise ihres Existierens.
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