HERBST - Arbeiten von Martin Seidemann und Robert Schmidt-Matt

 

Einführung zur Ausstellung HERBST

 

Robert Schmidt- Matt und Martin Seidemann blicken beide auf ein langes künstlerisches Leben zurück. Ihre Arbeiten fußen auf einer langjährigen Auseinandersetzung mit Formen und Materialien.

 

Robert Schmidt-Matt hat zunächst Malerei an der UdK bei Fred Thieler studiert, bevor er sich der Bildhauerei zuwandte und Meisterschüler bei Michael Schönholtz wurde, der ebenfalls Steinbildhauer war und dessen Grab sich hier ganz in der Nähe auf dem Stubenrauch-Friedhof befindet.

Robert Schmidt-Matt arbeitet mit Natursteinen unterschiedlicher Härte. Daneben hat er Bühnenbilder erstellt u.a. für das Theaterforum Kreuzberg. Er hat verschiedene Arbeiten für den öffentlichen Raum gestaltet, u.a. eine Gedenktafelcollage für die Weiße Rose in München und Skulpturen am Brunnen Cuvrystraße und im Britzer Garten.

Seine frühen Arbeiten sind figürlicher. In den folgenden Jahren entwickelt er - wie auch sein Lehrer Michael Schönholtz - eine reduzierte Formensprache. In den 80-90-iger Jahren schuf er aus einzelnen Steinblöcken zusammengesetzte Arbeiten, die architekturartigen Charakter haben wie z.B. 1988 eine 2,50 m hohe abstrakt figurative Arbeit aus Anröchter Dolomit für einen Park in Bielefeld mit dem Titel „Vergeblich Wartende“.

In den folgenden Jahren veränderte er sein künstlerisches Konzept und stellte die Vorstellung vom Stein als archaisch, schwer und beständig in Frage. Er schafft sozusagen die Quadratur des Kreises und formt den Stein zu einer beweglichen Figur im Raum. Er konterkariert die Festigkeit des Materials, das Statische wird überwunden. Wie macht er das? 

Er entfernt aus einem Steinblock mit Hammer und Meißel soviel Material, dass eine Art Gelenk, oft in Form zweier ineinander verbundener Bügel entsteht. Wir sehen scheinbar mehrere Elemente vor uns, die aber tatsächlich noch miteinander verbunden sind. Er schafft damit eine wandelbare, veränderbare Steinskulptur, die verschiedene Stellungen im Raum einnehmen kann. Bei einigen Arbeiten lassen sich die Teile fast so wieder zusammenfügen, dass erkennbar wird, aus welchem Steinblock sie mal entstanden sind.

Bei der großen Skulptur „alle Beieinander“ konnte ich es beim Aufstellen beobachten, wie  der schwere Stein sich auseinanderziehen ließ und zunehmend seinen Umfang vergrößerte. Er „atmete“. Jetzt hat er ausgeatmet, für den Transport muss er wieder einatmen und schlanker werden, seine Teile zusammenziehen. Ganz komplex ist es bei „aufgewirbelt“: hier sind die einzelnen Wirbel beweglich aber untrennbar miteinander verbunden, während die Wirbelkörper in unserer Wirbelsäule einzelne Elemente sind, allerdings durch feste Bänder verbunden. Auch beim Gleitwürfel aus Anröchter Dolomit ist das Konzept gut erkennbar. Die beiden Elemente lassen sich wieder zu einem Würfel zusammenschieben. Der Künstler gibt dem Stein begrenzt freie Erscheinungsmöglichkeiten: „Aufstieg und Fall“ aus roten Lahnsandstein kann sich in ganz verschiedener Haltung im Raum präsentieren.

Die Gelenkflächen werden geschliffen, dagegen bleiben die Oberflächen unbearbeitet und lassen die Arbeitsschritte sichtbar.

 

Den Arbeiten gehen umfangreiche Vorarbeiten voraus: Skizzen und Modelle aus Gips und Ton, an denen Schmidt-Matt die Realisierbarkeit seines Konzeptes erkundet, bevor er sich an die aufwändige Arbeit mit dem schweren Material macht. Die Schränke in seinem Atelier mit den vielen kleinen Modellen geben ein Zeugnis ab, wieviel Austüfteln der Realisierung der Konzepte am Stein vorausgehen. Wieviel Material muss entfernt werden, damit eine Beweglichkeit entsteht – möglichst wenig, denn sonst kann Bruchgefahr entstehen.

Den großen Stern haben wir mit einiger Mühe auf sein Podest gehoben, er wiegt deutlich über 100 kg.

 

Robert Schmidt-Matt ist in verschiedenen Gremien aktiv, die sich mit der Gestaltung des öffentlichen Raumes beschäftigen und er ist als Lehrer tätig. Über viele Jahre war er künstlerischer Leiter der Sommerakademie Marburg.

 

Und das leitet über zu Martin Seidemann, auch Workshopleiter in Marburg und Honorarprofessor in der Ausbildung der Kunsttherapeuten.

 

Martin Seidemann ist Maler und Grafiker. Er hat an der Kunsthochschule in Berlin Weißensee studiert und war Meisterschüler an der Akademie der Künste der DDR.

 

In seinen Arbeiten hat er sich weitgehend vom Figurativen gelöst. Nur in einigen seiner Arbeiten wie z.B.in der Form auf Rot-Schwarz kann man eine Kopfform vermuten.

Ansonsten geht es ihm um Farb- und Formbeziehungen. Häufig sind rechteckige oder quadratische Formen zu finden, in die als erweiterndes oder korrespondierendes Element eine Bogenform zugefügt wird. Als Herausforderung in seiner Arbeit sieht er das Bemühen, die verschiedenen Formen und Farben in ein Gleichgewicht zu bringen: Rechteckige Formen verschiedener Größe und runde oder gebogene grafische Elemente, die sich wie in einer Konversation begegnen. In ähnlicher Weise treten warme Farbtöne wie besonders das rot mit kühlen Tönen wie grau und schwarz in eine Korrespondenz.

Dabei geht es auch um ein Austarieren von Gewichten: stehen größere Strukturen auf kleineren oder umgekehrt. Wie verhalten sich Flächen zueinander? 

Inspiration erhält er dabei oft von schon älteren Malprozessen, von den er sich anregen lässt, auf die er im Arbeitsprozess reagiert. Bei mehreren Arbeiten lassen sich noch Reste des Malgrundes erkennen, früher begonnene, aber zunächst nicht weitergeführte Arbeiten oder Lithographien. Bei einigen Arbeiten ist als Malgrund ein Kreuzworträtsel zu sehen, dessen Lösungswort „Edelmut“ Inspirationsquelle war und seinen Niederschlag in mehreren herzförmigen Strukturen gefunden hat. 

Die Arbeit „Überlagerung“ ist eine Übermalung eines früheren Holzschnittes.

Martin Seidemann arbeitet meist mit Ölfarben und Kasein Tempara. Daneben setzt er wegen seiner besonderen Ausdrucksweise gerne den Kohlestift ein. 

Der Lasurauftrag lässt die älteren darunter liegenden Schichten durchscheinen und  den Arbeitsprozess, der sich mit Unterbrechungen über Monate hinziehen kann, erahnen.

Die Farbgebung ist zurückhaltend, oft wirkt der Farbauftrag schollig, man erkennt den Pinselzug, durchscheinend, mehrere Sichtweisen offen lassend. Auch das schwere schwarz wirkt kaum erdrückend, wird aufgefangen von neutralisierenden Farbelementen.

Viele Arbeiten enthalten Collageelemente aus Papier oder Pappe., manchmal in zufälliger Form und Größe. Auch die Maluntergründe differieren: Leinwand, Hartfaserplatte, durchscheinendes Packpapier.

Die sechs Arbeiten auf Papier sind teilweise im Rahmen der Lehrtätigkeit entstanden oder als Anregung für spätere Arbeiten skizziert.

Besonders hervorheben möchten ich noch die Nummer 25 mit dem Titel „Nebra“, eine reliefartige Arbeit mit Öl auf einer Hartfaserplatte, die auch in einem längeren Arbeitsprozess entstanden ist. Inspiriert ist sie – wie der Name sagt - von der der Himmelscheibe von Nebra, einer kreisförmigen Bronzeplatte aus der frühen Bronzezeit d.h. ca.3500 Jahre alt, die als älteste bisher bekannte konkrete Himmelsdarstellung gilt und 1999 in Mittelberg in Sachsen-Anhalt gefunden wurde.

 

Martin Seidemanns Herangehensweise ist geprägt von seiner langen Lehrtätigkeit und der damit verbundenen Notwendigkeit, seine Anschauungen zu verbalisieren, an seine Schüler und Schülerinnen zu vermitteln. Dabei ist ihm bewusst, wie schwer Anmutungen von Farbklang und Formgleichgewicht zu vermitteln sind. Denn bei der Arbeit spielen affektive, Elemente, ein Gefühl von Ausgewogenheit eine große Rolle – neben Wissen über den goldenen Schnitt und andere Raumgesetze. Er berichtete er, dass er selber keine konkrete Vorstellung habe, wie das Werk mal aussehen solle, aber doch ein aus Erfahrung, Empfinden, kunsthistorischem Wissen zusammengesetztes unscharfes inneres Bild, an dem er sich bei der Arbeit orientiert.

Die Auseinandersetzung oder der immer wieder erfolgte Abgleich mit diesem inneren Bild führt zu einem oft in mehreren Etappen und Abständen ablaufenden Arbeitsprozess, bis eine ausreichende Stimmigkeit erreicht ist. Dabei löst eine bestehende Farb- oder Formkonstellation im Bild eine Reaktion aus, verlangt eine Ergänzung oder Gegengewicht, so dass in der Arbeit eine gewisse Eigengesetzlichkeit entsteht.

 

In einem Aufsatz „Zum Wert des künstlerischen Unterrichts in der kunsttherapeutischen Weiterbildung“ betont er die Bedeutung der Zeichnung für das subjektive Erleben und das objektive Erkennen und den besonderen Wert zeichnerischen Naturstudiums.

Dabei hebt er den „ordnenden Prozess des Zeichnens“ hervor, der von Manfred Zoller in seinem Buch „Gestalt und Anatomie. Ein Leitfaden für den bildnerischen Weg“ beschrieben wird.

Manfred Zoller, Maler und Bildhauer, aber auch ausgebildeter Arzt und Anatom war ebenfalls an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee tätig als Professor für Morphologie/Anatomie.

 

Manfred Zoller hat eine intensive Korrespondenz mit Künstlerinnen und Künstlern in der DDR gepflegt.

Diese Korrespondenz ist 2023 unter dem Titel Kehrwieder 4 als Buch erschienen. 

 

 

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