Neolithische Felsmalerei

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 Einführung in die Ausstellung am 23.März 2019

 

Die neolithischen Felsbilder der Sahara sind 8000 bis 2000 Jahre alt. Sie faszinieren und geben weiterhin Rätsel auf. Schaut man sich die Bilder an, so drängen sich mehrere Fragen auf: wie alt sind sie, wer hat sie gemalt, was bedeuten sie? 

Die Menschen der damaligen Zeit verfügten über das gleiche Hirnvolumen wie wir, sie werden vermutlich genau so intelligent wie wir gewesen sein und sich einige ähnliche Fragen wie wir gestellt haben.

Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen aus der Zeit, die Schrift war ja noch nicht erfunden. Die Kommunikation erfolgte durch Sprache und Zeichen.

Was beschäftigte die damaligen Menschen? Natürlich das tägliche Überleben. Aber darüber hinaus werden sie versucht haben, ihre Welt zu verstehen, zu deuten: den Wechsel der Jahreszeiten, das Firmament, das Schicksal, den Tod.

Schon die Neandertaler haben ihre Toten bestattet, was auf eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit hinweist.  Gab es auch bei den Menschen im Gebiet der Sahara mythologisches Denken, Rituale, eine Art Religion? 

Wie war die Gesellschaftsstruktur, die es einigen Menschen erlaubte, sich wochen- oder monatelang um die Einritzung einer Gravur zu mühen? 

Laut Georges Bataille unterscheidet sich der Mensch vom Tier durch das Todesbewusstsein und durch die Erotik, d.h. die mit dem Ziel der Wollust betriebene sexuelle Aktivität, die an die Stelle des blinden Instinktes tritt. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Themen auch symbolisch in den Felszeichnungen und Gravuren finden.

 

Die Bedeutung der dargestellten Figuren und Zeichen ist weiterhin häufig rätselhaft – unstrittig dagegen ist der Einfluss der Entdeckung dieser Darstellungen auf die Entwicklung der modernen Kunst.

 

Norbert Hümbs

 

 

Neolithische Kunst – Impulse für die Moderne

Vortrag gehalten am 30. März 2019

 

Leo Frobenius 1873-1938 war ein deutscher Ethnologe, ein Autodidakt, Gründer des Instituts für Kulturanthropologie. Zwischen 1904 und 1935 unternahm er mehrere Forschungsreisen nach Afrika und suchte u.a. die schon vom Afrikaforscher Heinrich Barth beschriebenen Felsmalereinen in der Sahara auf.

1937 erschien sein Buch EKADE EKTAB indem er Fotographien und Abzeichnungen von Felsbildern der Sahara veröffentlichte. Frobenius wird als eine starke und schillernde Persönlichkeit beschrieben. Auch unter schwierigen politischen Bedingungen  gelang es ihm, sich die finanziellen Mittel für seine Expeditionen zu verschaffen.

Frobenius wurde bei seinen Reisen von einigen Wissenschaftlern und mehreren jungen Malerinnen begleitet. Auch darin kommt seine ansteckende Begeisterungsfähigkeit zum Ausdruck, mit der er diese jungen Frauen, die sich selber als „Frobeniden“ bezeichneten,  veranlasste, ihre geordnet-bürgerliche Lebensweise zugunsten der Teilnahme an den  strapaziösen Expedition aufzugeben.

 

Die Felsbilder wurden fotografiert, abgezeichnet oder ein Abdruck in Frottage-Technik genommen.

Den in Afrika angefertigten - und zum Teil nach der Rückkehr nach Frankfurt überarbeiteten – Kopien ist anzumerken, dass in ihnen eine teils gewollte, teils dem Zeitgeist geschuldete Transkription in eine Ästhetik moderner Kunstwerke zum Ausdruck kommt.

Außerdem sehen wir meist nur von den Malerinnen gewählte Ausschnitte aus größeren Zeichnungen.

 

1937 organisierte der damalige Museumsleiter des museum of modern art  in New York, Alfred H. Barr eine  Ausstellung mit dem Thema „Prehistoric Rock Pictures in Europe and Africa“. Dort zeigte er in großen Formaten die von Frobenius  gesammelten Abbildungen der Felszeichnungen zusammen mit Werken von Paul Klee, Joan Miro, Hans Arp, Andre Mason, Wassily Kandinsky und Vladimir Lebedev.

Mit diesem Ausstellungskonzept wollte er Bezüge der prähistorischen und primitiven Malerei zur Gegenwartskunst herstellen und  den Übergang in den Kubismus und von dort in die abstrakte Malerei verdeutlichen.

 

Besonders junge Maler und Malerinnen der 1936 in New York gegründeten Gruppe „American Abstract Artists“ , die zwischen 1900 und 1905 geboren waren, nahmen die Konzepte prähistorischer Künstler begeistert auf. Sie interessierten sich ebenfalls für Kinderzeichnungen und die Bilder von psychisch Kranken, da sie darin den Ausdruck unverfälschter, unverbildeter und nicht verformter Kunst sahen.

Zu den Gründern dieser Gruppe gehörte u.a. Josef Albers, der 1933 nach Schließung des Bauhauses von Berlin in die USA emigrierte und der später Lehrer von Robert Rauschenberg und Richard Serra wurde.

Zu den Mitgliedern gehörten auch u.a. Lee Krasner,  Piet Mondrian, und Ad Reinhard.

 

In ihren Vorstellungen spielten besonders die Höhle als Raum und die dreidimensionale Oberfläche der Felswände eine Rolle.

 

Viele dieser Künstler experimentierten mit der Perspektive, dem Verweben von Flächen, der Materialität von Oberflächen, der Dreidimensionalität und der Balance von Licht und Schatten und dem Nebeneinander von teilweise ins Fantastische übergehenden  Figuren und von nichtfigurativen Zeichen – alles Themen und Techniken, bei denen sie Anregungen aus der Felsbildkunst bezogen.

 

Obwohl nur wenige Maler/innen  dieser Gruppe zu Ruhm und Anerkennung gelangt sind, spielten sie doch in den Jahren 1937-40 eine bedeutende Rolle in der Ablösung der figurativen Kunst in Richtung der abstrakten Kunst.

 

Weitere Einflüsse „primitiver“ künstlerischer Darstellungen erfolgten durch die Beschäftigung mit den künstlerischen Ausdrucksformen sogenannter „primitiver“ Völker (Gaugain)  und der Kunst der amerikanischen Ureinwohner. 

 

Der Begriff der „Prähistorie“  war  dabei mit mythologischen und zeitübergreifenden Bedeutungen aufgeladen.  Der schwer vorstellbare Zeitabstand zu den Felsmalereien und die Rätselhaftigkeit der Bilder vermittelten eine mythisch-religiöse, auf den Ursprung der Menschheit hinweisende Aura. Sich in seiner Arbeit auf diese Ursprünge zu berufen, bedeutete ein Mehr an Legitimität durch die Verankerung mit der anthropologischen Vergangenheit. 

Im Rückgriff auf die „Prähistorie“ ließen sich die aktuell entstehenden Werke als Ausdruck einer ununterbrochenen Arbeit des Ursprünglichen im Gegenwärtigen sehen, als ein quasi fortlaufender Prozess der Vergegenwärtigung einer primären Einheit, wobei sich nur die Form, nicht aber das Thema und der Inhalt verändert hat. Mit den Worten Carl Einsteins: „Das Ende biegt sich zum Anfang zurück“. Der unbestimmte Charakter der „Prähistorie“, das Gewimmel kaum datierbarer und lesbarer Spuren wurde auf Grund seiner Mehrdeutigkeit mit einer besonderen Aura umgeben. In der Folge wurde das Unbestimmte, Mehrdeutige zum Merkmal eines als besonders authentisch angesehenen Ausdrucks erhoben.

 

Hinzuweisen ist hier auf die 1933 entstandenen Fotographien Pariser Graffitis von Brassai,  in denen er in der Vermischung aus Realismus, abstrakten Zeichen und der Verworrenheit der Formen eine Entsprechung zu der „chaotischen Welt der Gravuren auf den Höhlenwänden“ sah. „Von der Höhlenwand zur Fabrikwand.“

 

Der deutsche Maler Willi Baumeister hat sich eingehend mit Felsbildkunst beschäftigt und Lichtbildervorträge dazu in Frankfurt besucht.. In seinen Arbeiten finden sich neben amorphen Farb- und Formkonstellationen langgestreckte, schmale, von Baumeister selber als Flämmchen bezeichnete Gebilde, die an die von Frobenius als „Formlinge“ bezeichnete Figurationen erinnern, die er an Felswänden gesehen hatte.

 

Der deutsche Maler Wols hat als 20-jähriger bei Frobenius gearbeitet und dort an Diskussionen über die seltsamen Formen unter den Felsmalereien teilgenommen. Auch in seinen Zeichnungen finden sich Parallelen zu den prähistorischen Darstellungen. Wie die Felsbilder haben die Wols`schen Zeichnungen keine Perspektive. Sie wirken wie in der Schwebe. Unterschiedliche Bildmotive sind aneinander gereiht oder verbunden.

 

Einflüsse der Felsbildkunst finden sich u.a. bei Emil Schumacher und bei Miro  und bei Jean Dubuffet.  Dubuffet  schaffte mit der Hinwendung zur „Art brut“ , der „Bildnerei der Geisteskranken“ und zur Erdgeschichte eine  Gegenwelt zur Vernunft im Sinne einer „Remythisierung“ der Welt.

 

Es gibt ähnliche Formen in prähistorischen Zeichnungen und Objekte aus ganz verschiedenen Teilen der Welt. Erreicht, berührten uns diese Arbeiten?  Gibt es eine überzeitliche Resonanz auf Kunstwerke – auch über Jahrtausende und über soziokulturell sehr veränderte Lebensbedingungen?

 

Mit diesen Fragen hat sich Volker Sommer in seinem Beitrag beschäftigt.

 

Volker Sommer hat an der HdK studiert. Er war Meisterschüler bei Raimund Girke. Er lebt seit vielen Jahren als freier Künstler in Berlin.

 

 

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