Der Ausstellungstitel „schöne Jugend“ ist in Gedanken mit einem Frage- und einem Ausrufezeichen versehen. Denn es ist ein ambivalenter Lebensabschnitt mit Aufbruch, neuen Erfahrungen, erster Liebe, Ablösung – aber auch verbunden mit vielen Unsicherheiten und Herausforderungen. Zentrale Aufgabe ist das die Entwicklung der eigenen Identität und die Suche nach dem passenden Platz in der Gesellschaft. Bestimmte Thematiken bestehen vermutlich generationsübergreifend: die Ablösung vom Elternhaus, Sexualität, wovon und wozu leben. 

Dazu kommen jetzt globale Herausforderungen wie Klimawandel, Kriege, Flüchtlingsbewegungen usw. Gegenüber früheren Generationen stehen den Jugendlichen mehr Freiräume und Möglichkeiten offen, allerdings ist auf anderen Wegen über soziale Medien ein neuer Anpassungsdruck entstanden.

 

Die Ausstellung zeigt Arbeiten von 11 Künstlerinnen und Künstler zu diesem Thema. Diese 11 Positionen decken natürlich nur einen kleinen Bereich dessen ab, was zu diesem Thema gesagt oder dargestellt werden kann. 

 

 

Die einzige hier gezeigt Fotographie stammt von Thomas Born und zeigt ihn quasi im Rückblick als Erwachsener auf sich selber als Kind, hier auf einem Foto, das sein Vater von ihm gemacht hat. Thomas Born ist Fotograf und Medienkünstler. Er war Professor im Studiengang Kommunikationsdesign an der HTW in Berlin. Er hat hier mit einer 360 Grad Kamera und mit Spiegeln gearbeitet, wodurch Verzerrungen und ein Verfremdungseffekt erzielt werden.

Thomas Born hat sich praktisch und medienkünstlerisch mit der Kampfkunst beschäftigt und wird in einer besonderen Veranstaltung am 8. November Videos zum Thema Martial Art – zwischen Körpererfahrung und Bildgestaltung vorstellen. 

Zum Thema Jugend und Tod passt auch der als größter Kampfkünstler des XX. Jahrhunderts angesehene Bruce Lee, der mit 32 Jahren verstarb.

 

Viele Bilder der Ausstellung erzählen eine Geschichte, bzw. die Künstlerin, der Künstler legen uns Material vor, aus dem wir Geschichten konstruieren können. 

So z.B. in der großen Arbeit „Rosa“ an der Stirnseite von Frauke Bohge. Frauke Bohge hat Kunst und Philosophie an der Universität Potsdam studiert, einschließlich eines über 2 Jahre gehenden Promotionsstudium in Religionswissenschaft. Die Werkangabe Rosa lässt offen, ob es sich um einen Namen oder eine Farbangabe handelt. Rosa wird mit Lieblichkeit, Weichheit und überwiegend mit Weiblichkeit assoziiert. Ist die Haltung des Kindes Ausdruck von Verzückung oder von Protest – ich will das rosa Kleid, die Weichheit, Weiblichkeit loswerden? Unter dem Kleid werden Hosen getragen. Das Rosa entweicht zur Seite und von unten steigt ein im Kernbereich kräftiges (männliches?) Blau auf.

 

Hannelore Teutsch ist die älteste unter den teilnehmenden Künstlerinnen. Hannelore Teutsch hat Gebrauchsgrafik studiert und als Zeichnerin und Buchgestalterin in Berliner Verlagen gearbeitet. Seit 1977 ist sie als freie Künstlerin tätig. Von ihr sind 2 Arbeiten zu sehen: Die Freundinnen der Braut und die kleine Arbeit in Öl auf Holz, die mit „Warten“ betitelt ist. Warten und Langeweile kennzeichnen zwei wesentliche Befindlichkeiten der Jugend. Warten – worauf? Es soll sie ja geben, die fruchtbare Langeweile, die zum Reifen eines Entschlusses führt. Aber meist wird die Langeweile eher als verdrießlich erlebt. Ist sie Ausdruck einer Schwierigkeit, mit sich selber, der zeitweisen Leere etwas anzufangen. Oder ist es eher ein depressives Grübeln, eine Ziellosigkeit, Isolation? Auch hier wird der/die Recipient*in eingeladen, sich an eigene Gefühle und Erfahrungen zu erinnern. Auf dem Tisch vor ihr liegt ein Auge, das Auge der Eltern oder des Über-Ichs, das alles sieht?

Die Arbeiten von Hannelore Teutsch enthalten oft einen etwas surrealen Beiklang oder ein ironisches Element. 

 

Auch die Arbeiten von Caty Forden laden zum Ein- und Ausspinnen ein. Caty Forden wuchs in der Nähe von Washington D.C. auf. Sie hat in den USA und Europa Kunst studiert mit einem Abschluss an der Kunstschule in Chicago. In der Vergangenheit hat sie sich künstlerisch vornehmlich mit Stadt- und Landschaftsräumen beschäftigt. Die hier ausgestellten Arbeiten lassen vielleicht einen Rückblick auf ihre eigene Kindheit in ländlicher Umgebung erahnen.  In der Arbeit „Dreamhouse“ = oben im Baum über einem weitläufigen Haus und Gartengrundstück vermittelt sich amerikanisches Flair. Der Betrachter ist nah bei der Träumerin im Baumwipfel. Das Alltagsleben ist weit entfernt, unten. Wir befinden uns im Reich der Träume. „Backyard Tarzan“ thematisiert die (Größen-) Fantasien der Jugendlichen und das mögliche Scheitern

„Surprise“ gibt Rätsel auf: Einbruch des Animalischen in Form des Ebers als Metapher für Kraft, für das Ungesteuerte, das Sexuelle?

 

In mehreren Arbeiten wird die Geschwisterthematik aufgegriffen, so im Eimerstreit von Frauke Bohge und in der Arbeit „Das ist meine Katze“ von Jens Hunger. Die Bilder von Jens Hunger haben meist eine Hintergründigkeit. Kämpfen die beiden wirklich um die Katze? 

So ist es auch in „Ich werde alles sehen“. Die Protagonistin blickt durch ein regennasses Fenster. Das Fenster als Grenze zwischen außen und innen. Was will sie sehen- von ihrem Inneren und von der Welt draußen? 

 

Auch Bettina Eisenhuth widmet sich der figurativen Malerei, hier in Aquarellen und Ölbildern. In den hier gezeigten Arbeiten geht es um die Möglichkeiten und Befindlichkeiten des Jugendlichenalters. Wir sehen 2 Aquarelle aus ihrer Serie Airport-Sleeper und können uns erinnern an eigene am Flughafen verbrachte Stunden, aber vielleicht auch an das Gefühl von Aufbruch in die weite Welt mit noch leichtem Gepäck und euphorischen oder mulmigen Gefühlen. Ihre Bilder vermitteln neben dem Aufbruch auch das Zaudern, die Unsicherheit am Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter. Bettina Eisenhuth hat Malerei und Kunsterziehung bei Dieter Appelt und Johannes Geccelli an der HdK Berlin studiert. (und Musikwissenschaft und französische Philologie). Seit 1992 ist sie Lehrerin an der deutsch-französischen Europa-Schule.

 

Von Sayyora Muin sehen wir 2 poetische Arbeiten in Tusche auf Papier. In „Himmel und Hölle“ finden wir neben Hinweisen auf die vergängliche Zeit Erinnerungsspuren an ihre Kindheit in Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan. „Don´t disturb“, ein Bild aus dem Alltag mit Kindern im Jugendlichenalter. Lass mich in Ruhe – der Wunsch nach Abgrenzung, der Rückzug ins Ich, der Widerstand gegen die Anforderungen der sogenannten Realität.

Sayyora Muin hat zunächst in Taschkent eine Ausbildung zur Bühnenbildnerin absolviert und ihr Studium später an der UdK bei Florence von Gerkan fortgesetzt. Sie ist künstlerisch tätig in den Bereichen Bühnenbild, Kostüme, Zeichnung, Fotographie. In ihren Arbeiten spielt das Thema Herkunft eine große Rolle. Ihr Bildsprache ist von dekorativen Elementen geprägt, wobei ihre Ausbildung im Bühnenbild eine Rolle spielen wird, verbunden mit traumhaft anmutender Symbolik und fernöstlichen Anmutungen.

 

Mathias Roloff hat einen gänzlich anderen Zugang zum Thema gewählt. Auch er hat an der UdK in Berlin in der Klasse von Volker Stelzmann Malerei/Grafik studiert. Er hat seinen hier gezeigten Arbeiten eine Radierung zugrunde gelegt, die er in Mischtechnick übermalt und damit unterschiedlich erweitert und interpretiert hat. Wir sehen menschliche Figuren, oft verfremdet in verrenkten Posen, dünn, mit überlangen Gliedmaßen. Mittels der Übermalung betont er bestimmte figurative Linien und bringt damit und durch den Einsatz zurückhaltend verwendeter Farben unterschiedliche Stimmungen oder Beziehungssituationen zum Ausdruck. Mit den Titeln – hier „Separation“, „Honey“ und „Der Block“ bietet er einen möglichen Zugangsweg zu denen Arbeiten an.

 

Nikolas Claussen ist Maler, Kurator und Texter. Er hat die Malereiklasse von Heiner Preissing in der Wilhelm-Wagenfeld Schule in Bremen besucht. Er ist Gründungsmitglied und Kurator im „Raum für drastische Maßnahmen“ e.V., ein Projekt, das sich als Vermittler zwischen der Kunst und dem Alltagsleben versteht. Ein Raum für transkulturelle Begegnung und Interaktion in Form von Ausstellungen, Veranstaltungen und workshops. Er beteiligt sich mit expressiven, schnell hingeworfenen Arbeiten in Mischtechnik auf Papier. 

Susanne Tischewski visualisiert in ihrer Arbeit einen Text von Ulf Tischewski, der einen Gefühlszustand der Kindheit/Jugend zum Ausdruck bringt. Darin heißt es „Wohl, weil es sie einmal gegeben hat, die tröstliche Wärme der Ereignislosigkeit, vergesse ich sie nicht mehr“.

Man könnte eine Anknüpfung an die Arbeit von Hannelore Teutsch vornehmen: das Warten, hier die Ereignislosigkeit ins Positive gewendet.

Susanne Tischewski hat in Leipzig an der Hochschule für Graphik und Buchkunst studiert und als freie Künstlerin und Buchillustratorin gearbeitet. Ihr bevorzugtes Material ist Papier, das sie in verschiedenen Formen als Malgrund und Collage – Element einsetzt.

 

Micha Otto ist 1980 in Berlin geboren. Er hat an der Kunsthochschule Weißensee studiert und 2 Auslandssemester in Japan verbracht. Er arbeitet mit verschiedenen Medien wie Fotografie, Video, Objekte, Installationen im Raum und in der Natur, Kompositionen und Performances.

An dieser Ausstellung beteiligt er sich mit einer umgebauten Quarzuhr, die zufallsgesteuert vorwärts oder rückwärts läuft. Damit befragt er das Phänomen der Zeit und der Jugendlichkeit. Kann ich jung bleiben, wenn ich die Wahrnehmung von Zeit manipuliere? Ist Jugendlichkeit an das Alter gebunden? 

 

Norbert Hümbs

 

 

 

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