Karl Erich Müller - ein Maler der Halleschen Schule und seine Weggefährten

 

Karl Erich Müller (1917–1998) war ein deutscher Maler und Graphiker. Nach dem Krieg zählte er zu den von den Professoren Erwin Hahs und Charles Crodel geprägten Mitgliedern der Halleschen Schule. War seine frühe Malerei formal vom Expressionismus beeinflusst, so nahm darin die Zeichnung im Laufe der Zeit immer mehr Raum ein. Thematisch dominiert die realistische Darstellung der Lebenswelt arbeitender Menschen, ergänzt durch Porträts, zahlreiche Reisebilder, Zeichnungen und Illustrationszyklen. Die Galerie zeigt einen kleinen Querschnitt aus seinem Schaffen und Arbeiten von Freunden und Weggefährten.

 

 

Späte Auseinandersetzung anlässlich der Ausstellungseröffnung

 

1917 in Halle an der Saale als Nachkömmling geboren, nachdem sein

Vater und sein ältester Bruder gemeinsam eingezogen worden waren,

wuchs mein Vater sehr behütet und geliebt in finanziell dürftigen

Verhältnissen auf. Sein begabter Vater war Dekorationsmalermeister,

zog es eben aber auch öfters vor, die eigenen Wände aufwendig zu

verschönern oder verschiedenen brotlosen Künsten zu frönen. Das

Kind zeichnete viel und gern und besuchte prägende zwei Jahre lang

einen nachmittäglichen Kurs bei Hans-Friedrich Geist, einem

Bauhausschüler. Der unternahm mit seinen Kindern Inspirierendes –

wie Zeichnen im Zoo, Märchenspiele, regte Collagen an – damals ein

sehr moderner Lehrer an einer sogenannten „Versuchsschule“ in Giebichenstein.

 

Nach einer erfolgreichen Lehre als Dekorationsmaler und dem

heimlichen Ziel, Künstler werden zu wollen, kamen zuerst einmal

der obligatorische Arbeitsdienst und dann der Krieg dazwischen.

Unmittelbar nach dem Arbeitsdienst, vom Anfang des Krieges bis zur

sowjetischen Kriegsgefangenschaft fehlten meinem Vater, der so gar

nicht für's Militärische geeignet war, quasi sieben Jahre seines

Lebens. Das ist eine sehr lange Zeit, vor allem, wenn man doch

etwas vorhatte mit seinem Leben.

 

Einigermaßen unversehrt aus der Kriegsgefangenschaft in Halle

zurück, begann mein Vater ein Studium bei Prof. Erwin Hahs an der

damaligen Burg Giebichenstein – Kunstschule und Werkstätten der

Stadt Halle Saale. Damals gab es eine Künstlerkolonie in einem

ehemaligen Lazarett, mehreren Steinbaracken in der Fischer-von-

Erlach-Straße. Dort wohnten viele Künstler der sogenannten

Halleschen Schule mit ihren Familien: zum Beispiel Meinolf Splett,

Helmut Schröder, Herbert Lange oder Otto Müller. Im Sommer ein

Idyll mit Gärtchen, Tabakanbau, Sonnenblumen, Malven, Königskerzen,

die alles überwucherten – im Winter vor allem sehr kalt. Man

besuchte sich gegenseitig, es gab regen Austausch, Feste, die

Kinder nutzten ein großes Spielareal. Aber die Unbequemlichkeit,

das Beengte überwogen nach anfänglichem Schwung doch das

Zusammengehörigkeitsgefühl und das Interesse aneinander. Die

ersten fanden etwas Besseres, Komfortableres, zogen weg.

 

Für meinen Vater war das eine sehr fruchtbare Zeit. Er hatte nun

zwei Jahre an der Burg studiert und mit dem Gefühl, endlich das

Leben zu führen, das er sich gewünscht hatte, arbeitete er viel

und sehr motiviert. Es entstanden zahlreiche Familienporträts,

Stillleben, zudem Illustrationszyklen nach Literatur, die ihm

gefiel und beschäftigte. Gogol, „Das Bildnis“ oder auch „Der

Mantel“ zum Beispiel. Wenn wir im Sommer auf den Darß fuhren, dann

mit Kinderwagen, Windeln, Staffelei und Malkasten. Aber in

Gemeinschaft mit Wilhelm Schmied oder Herbert Lange entstanden

auch da schon Wandbilder, die das Leben der Arbeiter und Bauern im

Arbeiter und Bauernstaat ganz ostentativ und idealisierend priesen

– und natürlich ertragreiche Aufträge waren.

 

Die Burg in Halle knüpfte nach dem Krieg quasi als einzige

Kunstschule in Ostdeutschland nahtlos an ihre Tradition von vor

der Nazizeit an. Expressionismus, Klassische Moderne und Bauhaus

waren zunächst Vorbild und Anregung. Einige der alten Dozenten wie

die Maler Charles Crodel oder Erwin Hahs kehrten nach Verfemung an

den Ort ihrer Wirkungsstätte zurück. Halle, an der Saale gelegen,

war durch den Krieg recht wenig zerstört worden, ein guter Ort –

auch zum Leben.

 

Durch die zunehmende Einflussnahme der neuen politischen

Kulturbeauftragten änderte sich jedoch bald die Möglichkeit freier

Entfaltung auch formal, und die fortdauernden Spannungen begannen.

Ungebildete, misstrauische Funktionäre operierten mit Begriffen

wie modernistisch, dekadent, formalistisch, führten ermüdende

Auseinandersetzungen und stellten dabei klare Forderungen. Die

sowjetische Kulturdoktrin wurde zum Vorbild erklärt. Vor allem

gegen diese Bevormundung, die sich weder auf Bildung noch auf

Kunstverständnis stützte, setzten sich die Halleschen Künstler

ziemlich ge- und entschlossen zur Wehr. Aber die Diffamierungen,

die Bespitzelungen rissen nicht ab. So kam es denn dazu, dass

etliche Leute wie Bachmann, Kitzel und Stehwien oder Bunge und

Knispel als wichtige Lehrende Halle gen Westen verließen,

andere – wie Sitte – ihre Formensprache änderten und versuchten,

sich aktiv einzumischen, und wieder andere sich dem staatlichen

Kunstbetrieb mehr oder weniger entzogen. (Da wären sicher Otto

Müller, ein sehr guter Freund meines Vaters, und Otto Möhwald zu

nennen.)

 

Meinen Vater hatte ganz sicher die Formalismusdebatte der 50er

Jahre mit ihren Entmündigungsversuchen auch kritisch beeinflusst.

Bei einem anderen Freund, dem Kunsthistoriker Dr. Wolfgang Hütt,

kann man Äußerungen lesen, die diese Vermutung bestärken.

Malerisches, Privates wich aber gleichwohl zunehmend politischen,

auch plakativen Äußerungen, wie entsprechende Zyklen und

Tafelbilder zeigen. Kritik an unmittelbar vor der Tür liegenden

Problemen wurde jedoch so gut wie ausgespart. – Eine festere

Formensprache bildete sich heraus.

 

Nun hatte mein Vater ja aber grundsätzlich gegen diesen Staat

wenig einzuwenden. Auch aus seiner Herkunft ergab sich ein

entschiedener, möchte sagen sturer Standpunkt, der bis zu seinem

Tod in seinen Bildinhalten eine Rolle spielte.

Sein ihm nahestehender Bruder hatte beispielsweise nach

mehrjährigem, politisch begründeten Gefängnisaufenthalt unter den

Nazis die bürgerlichen Ehrenrechte verloren und war gleich nach

dem Krieg in Halle vom Malergesellen zum Landrat avanciert, der

nun nächtelang versuchte, sich die nötigen Kenntnisse für sein

zugeteiltes Arbeitsgebiet anzueignen.

 

Was meinem Vater ermöglicht worden war, schien ihm selber nur in

diesem Staat erreichbar. Es lässt sich nun leicht darüber

debattieren, wie einfach es doch sei, bei all den öffentlichen

Erfolgen und staatlichen Ehrungen wach zu bleiben, die richtigen

Abzweigungen im Leben zu nehmen, sich stets aufs Neue zu befragen:

inwieweit ist das hier noch mein Ding, will ich das und kann ich

das noch mittragen. Man sollte es gewiss jedem Leben wünschen,

dass das immer wieder gelänge. Aber einmal auf einem Gleis in

Fahrt gekommen, braucht es vielleicht mehr Mut und Konsequenz, es

zu verlassen, als es gar nicht erst zu befahren. Manchem ist das

schwer möglich. Der eben schon genannte Freund Dr. Hütt hat die

Situation der Halleschen Künstler in der DDR untersucht. Der Titel

seiner ausführlichen Schrift „Gefördert. Überwacht.“ trifft es

gut.

Mein Vater konnte denn auch während der Mauerzeit oft – und

auch in weit entfernte Länder – reisen, es waren sogenannte

Studienreisen. Soviel ich weiß, konnte er sich die Ziele nicht

wählen, aber er ist den Angeboten, zum Beispiel nach Indien, Sri

Lanka und Nepal zu fahren, sehr gerne gefolgt und hat von seinen

mitgebrachten Skizzen lange gezehrt. Meines Erachtens sind ihm

dabei eben über die Länge der Zeit auch bestimmte Voraussetzungen

für die mögliche Qualität, für interessante künstlerische Ansätze

verloren gegangen. Es scheint mir zunehmend wie ein Abarbeiten,

entrücktes Erinnern geworden zu sein, mit wenigen Ausnahmen formal

ein sich immer wieder auf Bewährtes Besinnen. Aber natürlich kann

ich mich irren.

 

Was hier zu sehen ist, sind Arbeiten, die mir die vermutete

Schwäche zum Glück nicht zeigen. Ergänzt haben wir vornehmlich

Grafiken, die ihm freundlich zugeeignet wurden – sei es von

Kollegen zu Geburtstagen oder anlässlich von Kontakten der

Akademie-Meisterschüler. Mein Vater war ein freundlicher, loyaler

Kollege ohne Intrigen oder Machtanspruch, ein treuer, großzügiger

Freund über Jahrzehnte. Er war empfindlich und konnte schlecht

Kritik vertragen, wer es sich mit ihm durch Illoyalität verdorben

hatte, war für immer erledigt.

 

Als Vater war er vermutlich einfach ein typischer Vertreter seiner

Generation – selbst die anwesenden waren fast ausschließlich mit

ihrer Arbeit beschäftigt. Und da es bei allen anderen ähnlich

schien, habe ich es anders auch nicht vermisst. Natürlich habe ich

viel gesehen und vor allem gerade Nonverbales interessiert

aufgenommen. Seinen beiden Töchtern hat er kaum Auskünfte

über die Dinge, die ihn wirklich beschäftigt haben, gegeben. 

Und so kann ich mich hier nur auf eigene Beobachtungen und 

Äußerungen über ihn stützen.

 

Susanne Tischewski, geb. Müller

 

 

 

 

 

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